piwik no script img

Familiärer Opiumkrieg

■ Neu im Kino: „Verführerischer Mond“von Chen Kaige

Durch den Welterfolg von „Lebewohl meine Konkubine“ist Chen Kaige so etwas wie der Visconti des Fernen Ostens geworden: Ein sehr feinsinniger Filmemacher, bei dem sich Nostalgie und ein scharfer Intellekt die Waage halten und bei dem die Emotionen mehr aus den Bildern als von den Geschichten kommen. Wie alle modernen chinesischen Regisseure hat auch er große Schwierigkeiten mit den rigiden Zensurbestimmungen seines Landes, und man kann nur ahnen, welche Probleme er beim Drehen von „Verführerischer Mond“bewältigen mußte, auch wenn er mit Geld aus Hongkong und Europa finanziert wurde. Fest steht, daß er drei Jahre brauchte, um den Film fertigzustellen. Fest steht auch, daß er im Filmfestival von Cannes im letzten Jahr so zwiespältig aufgenommen wurde, daß der Regisseur ihn noch einmal ganz neu geschnitten hat.

Und leider merkt man es „Verführerischer Mond“nun auch an, daß viel an ihm herumgeschustert wurde. Viele Einstellungen wirken wie eingeschobene Fragmente von viel längeren Szenen, sehr oft muß Chen Kaige auf erklärende Zwischentitel zurückgreifen, und sein Film findet nie seinen Rhythmus. Er holpert statt zu fließen, und man kann sich kaum wirklich auf die Geschichte einlassen, weil die Form allzusehr ins Auge sticht.

So kommen uns die tragischen Helden dieser Liebes- und Familientragödie aus dem Shanghai der 20er Jahre nie wirklich nah, und dies obwohl sie von den attraktivsten Stars des chinesischen Kinos verkörpert werden. Gong Li („Rote Laterne“, „Leben“) blickt wunderschön traurig über ihre Opiumpfeife ins Leere, und Leslie Cheung („Lebewohl meine Konkubine“, „A Chinese Ghost Story“) gelingt es so hoffnungslos romantisch „Ich kann niemanden mehr lieben“zu sagen, wie den großen romantischen Helden Hollywoods. Die Geschichte ist auch dermaßen in Emotionen getränkt und episch ausgebreitet, als wollte Chen Kaige hier eine chinesische Antwort auf „Vom Winde verweht“liefern. Aber man kann nie wirklich nachempfinden, warum der tragische Held zum Gigolo in Shanghai wird, nachdem er in seiner Jugend gezwungen wurde, seine eigene Schwester zu küssen. Oder wie die Opiumsucht die Heldin in den Untergang zwischen zwei Liebende treibt, denn ihre destruktiven Drogenräusche hat Chen Kaige entweder wieder aus dem Film geschnitten oder nie gedreht.

Deshalb hinterläßt der Film einen zwiespältigen Eindruck. Einerseits verdirbt uns Kaige mit all der ästhetischen Distanz den Spaß am Drama: Warum sollte man auf der Leinwand zwei Liebende so schön beim Scheitern zusehen wollen, wenn man nicht ein wenig mitleiden kann? Aber dann sieht man auch immer wieder einzelne Sequenzen, die so gelungen sind, daß man dem grandiosen Liebesepos nachtrauert, dessen Anlagen in „Verführerischer Mond“oft zu erahnen sind. Wilfried Hippen

Cinema tägl. 21 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen