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Das Kriegsbeil wird begraben

■ Die jüdischen Vereinigungen in Berlin, Adass Jisroel und die Jüdische Gemeinde, wollen Verhältnis normalisieren

Jahrelang herrschte Eiszeit, gelegentlich gar Kalter Krieg. Damit soll ab sofort Schluß sein. Der vor kurzem gewählte Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Andreas Nachama, und Mario Offenberg, Geschäftsführer der Synagogengemeinde Adass Jisroel, vereinbarten vorgestern, ihre „Beziehungen fortan auf der Grundlage von gegenseitigem Respekt, Gleichberechtigung und Kooperation“ zu führen. Wie es in einer Presseerklärung von Adass Jisroel heißt, „soll mit diesem Bekenntnis zu jüdischem Pluralismus das jüdische Leben Berlins auf religiösem, kulturellem und sozialem Gebiet gestärkt und ein Beitrag zur Bereicherung des geistigen und gesellschaftlichen Lebens der deutschen Hauptstadt geleistet werden“. Beide Gemeinden wollen damit das „historische, von gegenseitiger Achtung geprägte Verhältnis zwischen der 1671 gegründeten Jüdischen Gemeinde zu Berlin und der 1869 gegründeten Adass Jisroel fortsetzen, wie es bis zur Shoah bestanden hat“.

Prinzipiell ging es bei dem jetzt beigelegten Streit um das Konstrukt „Einheitsgemeinde“, also um die Frage, ob die nach dem Krieg gefundene Organisationsform noch zeitgemäß ist. Heinz Galinski, der frühere Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, wie auch sein Nachfolger Jerzy Kanal vertraten die Ansicht, es sei gegenüber der nichtjüdischen Umwelt notwendig, „mit einer Stimme zu sprechen“. Die religiöse Vielfalt sei auch innerhalb der „Einheitsgemeinde“ durch verschiedene Synagogen – orthodoxe, konservative – gegeben. Der von Mario Offenberg 1986 an historischer Stelle in der Tucholskystraße in Ost-Berlin wieder reaktivierten orthodoxen Gemeinde Adass Jisroel sprachen beide jegliche Existenzberechtigung ab.

Der Streit eskalierte nach der deutschen Einigung, als viele Juden aus der Sowjetunion nach Berlin kamen. Vor allem Heinz Galinski ließ fortan keine Gelegenheit aus, Adass Jisroel als „Familienunternehmen“, als „Scheingründung“ zu bekämpfen, die für undurchsichtige Zwecke nur Senatsgelder einstreichen wolle.

Umgekehrt war man aber auch nicht zimperlich. Mario Offenberg warf Heinz Galinski vor, daß er das Judentum verwalte, als „wäre es eine stalinistische Partei“. Er beschuldigte den Senat, mit Galinski und später Kanal ein Komplott zu bilden, um „jüdischen Pluralismus“ zu verhindern und Adass Jisroel zu zerstören. Der Sprecher der für Religionsangelegenheiten zuständigen Kulturverwaltung reagierte gestern deshalb entsprechend erleichtert auf den Friedensbeschluß. „Das finden wir toll“, sagte Axel Wallrabenstein. Die Jüdische Gemeinde zählt etwa 10.500 Mitglieder, mindestens die Hälfte stammt aus der früheren Sowjetunion. Sie ist seit langem Körperschaft des öffentlichen Rechts (KdöR) und erhält für die Aufrechterhaltung ihrer vielen Einrichtungen vom Senat Zuschüsse in Millionenhöhe. Ein Staatsvertrag regelt die Beziehungen zur Stadt Berlin. Die Gemeinde Adass Jisroel hat nach eigenen Angaben etwa 1.000 Mitglieder, von denen die überwiegende Mehrheit nach 1989 aus der Sowjetunion gekommen sein soll, und erhält seit 1995 Fördermittel vom Senat. Als KdöR wird sie vom Senat nicht anerkannt.

Gegen diese Position klagt Adass Jisroel seit 1994. Sie besteht auf einer Rechtskontinuität seit 1885, möchte vom Gericht festgestellt wissen, daß sie die legitime Nachfolgerin der alten, von den Nazis 1939 zwangsaufgelösten Gemeinde ist. Diese Kontinuität bestreitet der Senat, verlor in der ersten Instanz, gewann aber in der zweiten Instanz im Februar 1996 beim Oberverwaltungsgericht. Adass Jisroel stehe nicht in der Fortsetzung der alten Synagogengemeinde, urteilten die Richter, es stehe ihr aber frei, sich als Neugründung um den Status KdöR zu bewerben. Dies wiederum akzeptiert Offenberg aus prinzipiellen Gründen nicht. Er hat beim Bundesverwaltungsgericht Revision eingelegt. Anita Kugler

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