: Kreativ-Wucherungen im toten Winkel
■ In einer alten Dachdeckerei an der Kohlenstraße 45 werden Kunst-Freiräume ordentlich als Verein organisiert
Gegenüber blitzt eine Autohaus-Fassade, rechts röhrt der Autobahnzubringer, im Rücken rattern Züge vorbei: Die Kohlenstraße am Rande Utbremens gehört nicht gerade zu jenen Orten, die an reges kulturelles Leben denken lassen. Und doch erblüht neben den Baracken von Automechanikern und Schrotthändlern in einer ehemaligen Dachdeckerei schüchtern ein Pflänzchen Bremer Subkultur. „Hier muß man nicht auf der Bremse stehen, sondern kann einfach machen. Um so was zu haben, müßte man sich sonst auf dem Land ein Gehöft klarmachen“, sagt die Kunst- und Biologie-Studentin Suse Krämer, die regelmäßig in den Hallen werkelt. „Ambienteschaffende Kreativ-Wucherungen“seien das.
„K45“, nach dem Initial der Straße und der Hausnummer, nennen die MacherInnen um die ehemalige Schlachthof-Frau Birgit Schütt ihr Projekt. Zu anderen Zeiten und an anderen Orten hätten sie wohl Häuser besetzt, um sich Raum zu verschaffen für Übungsräume, Ateliers, Werkstätten, Fotolabor, Galerie und Konzertsaal. Heutzutage läuft „K45“ganz ordnungsgemäß als eingetragener Verein und zahlt 2.750 Mark Gewerbemiete – wohnen ist hier verboten.
Für 21 Mark Monatsbeitrag können die zur Zeit 40 Mitglieder nach Absprache Räume und Equipment nutzen – und dürfen natürlich mit anpacken, wenn Schrott und Gerümpel aus Dachdecker-Jahrzehnten abgefahren, die Galerie-Wand geweißt, die Freiluftbühne hergerichtet oder Papierkrieg mit Behörden ausgefochten werden.
Willkommen sind aber erstmal alle in der Kohlenstraße, von Sprayer-Kids aus Walle bis zu ProfimusikerInnen und -künstlerInnen, die hier im Herbst Workshops anbieten. „Du mußt solche Plätze aufrecht erhalten, sonst bis Du voll gearscht“, sagt Roy, der nach eigener Selbsteinschätzung „alles macht und nichts davon richtig“.
Doch die „K45“soll nicht nur Selbstverwirklichung für Freaks sein, sondern will auch ein anspruchsvolles Kulturprogramm bieten. Beim Sommerfest an diesem Wochenende gibt es unter anderem experimentelle Kurzfilme, Kunstausstellungen, Hörspiele, Lesungen (u.a. Willi Podewitz), Live-Musik (u.a. 12 Kappen Wasser) und experimentelle DJ-Sounds.
Mit Sounds und nach mehreren halböffentlichen Großparties hatten die Kohlenstraßen-Leute schon allerhand Ärger. Nicht, daß es in der Einöde Lärm-Klagen gegeben hätte. Aber ein anonymer Gastronom schickte ihnen das Gewerbeaufsichtsamt auf den Hals. Verdacht: Sie machten mit einem illegalen Underground-Laden kräftig Schwarzgelder. Seither müssen sie Getränke zum Selbstkostenpreis verkaufen und sind gehalten, für ihre Kulturveranstaltungen Eintritt zu nehmen. Umgekehrt wäre es Jan von Bloh, offiziell zweiter Vorsitzender des Vereins, lieber gewesen. Denn eigentlich soll die „K45“ja ein offenes Haus sein. So müssen sie, „damit sich das hier selber trägt“, an der Tür Geld nehmen.
„Aber höchstens zehn Mark“, sagt Jan. Alle KünstlerInnen treten ohne Gage auf. „Weil sie klasse finden, was hier läuft“, sagt die Vereinsvorsitzende Birgit Schütt, die gar nicht so aussieht wie eine Vereinsmeierin. Geld von der Stadt bekomme die „K45“nicht, „wollen wir auch nicht, höchstens Förderung für einzelne Kulturprojekte“.
Angefangen hatte alles im August 1995 in der Kohlenstraße. Damals mieteten die Stuttgarter Designer Torsten Schreiter und Werner Schaar die alte Dachdeckerei, um sich dort selbständig zu machen, und vermieteten weitere Räume an KünstlerInnen als Ateliers. Nachdem sie in Bremen einige Spuren hinterlassen hatten, unter anderem das schräge Interieur der Capri-Bar im Fehrfeld, zog es die Initiatoren Richtung Köln. Auch andere KünstlerInnen verließen die Stadt.
Ende '96 drohte der Kohlenstraße das Aus. „Dann machen wir das auf einem anderen Weg“, dachten sich also Birgit Schütt und die wenigen verbliebenen VeteranInnen. „Es hatte sich ein Traum eingegraben, einen Raum zu haben, wo man einfach machen kann“. Von da an ging es „Richtung Vereinsstruktur“, jetzt soll Gemeinnützigkeit beantragt werden. Denn auf eine ständige Hängepartie am Rande der Illegalität hat niemand Lust hinter dem bunten Tor neben dem Autobahnzubringer. Joachim Fahrun
Das Kultur-Sommerfest in der Kohlenstraße 45 beginnt heute, Samstag und Sonntag jeweils um 20 Uhr
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