: Hungerstreik für Arbeitnehmerrechte
■ In Hongkong protestiert ein Gewerkschaftschef gegen die unternehmerfreundliche Politik der neuen Machthaber
Hongkong (taz) – Mit einem Hungerstreik protestiert derzeit ein Gewerkschaftsführer in Hongkong gegen die Rücknahme von Gewerkschaftsgesetzen durch die neue Regierung. Der Generalsekretär der unabhängigen Konföderation der Handelsgewerkschaften, Lee Cheuk Yan, führt seinen Protest seit Dienstag abend im Zentrum der Stadt an der Anlegestelle der Star Ferry durch. Mit der Aktion, die bis Sonntag andauern soll, will er die Bevölkerung zur Verteidigung von Arbeitnehmerrechten auffordern.
Lee war bis zum Ende der britischen Kolonialzeit Abgeordneter im gewählten Legislativrat, dem Parlament. Der verabschiedete in seiner letzten Sitzung am 27. Juni fünf Gesetze, die unter anderem die kollektiven Rechte von Arbeitnehmern bei Tarifverhandlungen stärken, die Diskriminierung von Gewerkschaftsmitgliedern verbieten und den 1. Mai zum Feiertag erklären. Der neuen von Geschäftsleuten dominierten Regierung sind diese Gesetze ein Dorn im Auge. Sie argumentiert, sie seien in Eile verabschiedet worden und gefährdeten Hongkongs Wettbewerbsfähigkeit. Lee dagegen erklärt, die Gesetze entsprächen internationalen Standards und seien in einem mehrmonatigen Prozeß verabschiedet worden.
Die neue Regierung drängte zunächst den Peking-nahen Provisorischen Legislativrat, Hongkongs neues, nicht gewähltes „Parlament“, die Gewerkschaftsgesetze bereits in der ersten regulären Sitzung wieder aufzuheben. Dazu hätte das Gremium ungewöhnlicherweise gleich drei Lesungen hintereinander durchführen müssen, was seine geringe Glaubwürdigkeit weiter untergraben hätte.
Das Gremium war von China als Reaktion auf britische Wahlrechtsänderungen eingesetzt worden und hatte mit dem Souveränitätswechsel letzte Woche den gewählten Legislativrat ersetzt. Seitdem wird es selbst vor Gericht herausgefordert. Mit einer Vorentscheidung wird Ende des Monats gerechnet. Sollte der Provisorische Legislativrat, der nicht in der von China im Jahr 1990 verabschiedeten Hongkonger Verfassung vorgesehen ist, für illegal erklärt werden, droht Hongkong eine Krise. Sollten die Richter dagegen dem Gremium ihren Segen geben, erhöht dies die Zweifel am Rechtsstaat. Die Regierung machte bei den Gewerkschaftsgesetzen einen Rückzieher und räumte dem Provisorischen Legislativrat eine Woche Entscheidungszeit ein. „Das ist bereits ein Erfolg des Hungerstreiks“, meint Lee Cheuk Yan.
In einem anderen Fall kapitulierte der Provisorische Legislativrat vor der Regierung: Mit großer Mehrheit wurde in drei Lesungen hintereinander beschlossen, den Zuzug von Kindern Hongkonger Eltern aus China rückwirkend zu begrenzen. Nach der neuen Verfassung haben 66.000 Kinder aus China das Recht, in Hongkong bei ihren Eltern zu leben. Hunderte waren in letzter Zeit illegal in die Stadt gekommen. Nach deren Rückgabe an China hatten letzte Woche rund 500 Eltern die Legalisierung des Aufenthaltes ihrer Kinder gefordert. Doch jetzt droht Abschiebung. Nach dem am Mittwoch beschlossenen Gesetz kann die Familienzusammenführung nur genehmigt werden, wenn die Kinder noch in China sind. Die Regierung argumentiert, Hongkongs Schul- und Sozialsystem sei sonst überfordert. Sechs Familien klagen jetzt dagegen. Ihr Antrag auf staatliche Rechtshilfe wurde gestern bewilligt. Zwar befürwortet eine Mehrheit der EinwohnerInnen Hongkongs einen langsamen und geregelten Zuzug der Kinder, doch viele sind schockiert, wie die Regierung mit verfassungsmäßigen Rechten umgeht. Die Sitzung des provisorischen Legislativrats wurde von Protesten der Demokratischen Partei begleitet. Gewerkschafter machten zugleich auf den Hungerstreik aufmerksam. Für Sonntag rufen Demokraten und die Gewerkschaft zu weiteren Demonstrationen auf. Sollten seine Kräfte es zulassen, will Lee Cheuk Yan den Marsch anführen. Sven Hansen
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