: „Wenn das zuerst in der taz erscheint, werde ich gelyncht“
■ Journalisten in Bonn müssen sich ihre Informationen verdienen. Politiker helfen dabei gern – und beide Seiten profitieren davon
Bonn (taz) – Dauerthema Steuern: Wer erfährt so schnell wie möglich was? Eine Sondersitzung hinter verschlossenen Türen jagt die nächste. Manchmal gibt es danach nicht einmal Pressekonferenzen. Dann kommt es auf gute Kontakte an. Und die hängen auch vom Wohlverhalten der Journalisten ab. Informationen gibt es nicht automatisch für fleißige Recherche – man muß sie sich verdienen.
Nehmen wir eine der abendlichen Sondersitzungen der Koalitionsparteien zum Thema Steuerreform. Am folgenden Morgen lädt eine Partei ihr genehme Journalisten telefonisch zu einem Hintergrundgespräch. Das Gesagte darf grundsätzlich nicht zitiert werden. „Unter drei“, nennen das Eingeweihte.
Was die Beteiligten davon haben, obwohl der Verlauf des Gesprächs nicht bekannt werden darf? Die Journalisten dürfen sich erstens als Eingeweihte geschmeichelt fühlen, erweitern zweitens ihr Hintergrundwissen – was immerhin ihnen selber nützt – und haben drittens Material für Kommentare sowie Insiderberichte.
Politikern nützt dies auch: Sie machen sich erstens die Journalisten geneigt, füttern sie zweitens mit Informationen und Meinungen in ihrem Sinne, und brauchen drittens nicht zu fürchten, dafür geradestehen zu müssen. Im günstigsten Falle folgen Journalisten der unverblümten Aufforderung: „Sie können sich das ja zueigen machen. Das darf nur nicht von hier kommen.“
Die Wirkung ist dann ähnlich wie für ein Unternehmen Werbung im redaktionellen Teil. Ein Autohersteller hat mehr davon, wenn sein neuestes Modell statt in einer Anzeige im „unabhängigen, überparteilichen“ Teil der Zeitung gepriesen wird. Ebenso können Politiker ihre Meinung besser verkaufen, wenn sie als angeblich unparteiliche Auffassung von Journalisten wiedergegeben wird.
Damit das Incognito gewahrt bleibt, müssen manche Journalisten draußen bleiben. So zum Beispiel der Steuerbeauftragte der taz bei den Hintergrundgesprächen des Landesgruppenvorsitzenden der CSU, Michael Glos. „Vertrauenssache“, heißt es zur Begründung, „wir kennen Sie nicht gut genug.“ Und wie erwirbt man sich Vertrauen? Richtig! Vielleicht wird die taz deshalb offiziell nie erfahren, was Michael Glos in Hintergrundkreisen über Steuern sagt.
Häufig spielt nicht nur das Vertrauensverhältnis eine Rolle, sondern das Medium, zu dem der Journalist gehört. „Tut mir leid“, wehrt etwa ein Konservativer ab, nachdem er gerade eben über interessante Neuigkeiten berichtet hat. „Wenn das zuerst in der taz steht, werde ich in meiner Partei gelyncht.“ Einige Tage später steht die Information exklusiv in der Welt.
Wer sich nicht ans Regularium des Gebens und Nehmens hält, riskiert den Entzug des Privilegs, Informationen zu erhalten. Manche Politiker führen nach Hintergrundgesprächen Erfolgskontrollen durch. Wer berichtet, was er nicht sollte oder allgemein durch unliebsame Berichterstattung aufgefallen ist, wird ausgeschlossen. Und nicht immer erzwingen die Kollegen – was schon vorgekommen ist – die Wiederaufnahme des in Ungnade Gefallenen. Ähnliches gilt auch für persönliche Kontakte. So kann es passieren, daß ein prominenter Politiker ein fest vereinbartes Gespräch mit einem Journalisten kurzfristig absagt, weil ihn dessen jüngster Artikel erbost hat.
Ein Beispiel? Bin doch nicht blöd. Wir verstehen uns gerade wieder so gut. Markus Franz
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