: Nach der Revolte bleibt Kurzweil
■ Bei den Hard Pop Days machte die Mischung der Restekulturen den Eindruck, daß nicht alles umsonst gewesen ist
Zum zweiten Mal fand am Unisee ein Open Air Festival mit irreführendem Titel statt. Nachdem es beim Debüt im vergangenen Jahr zu einigen Unstimmigkeiten kam, weil am Einlaß die beschlagnahmten Butterbrote und sämtliche mitgebrachten Getränke in den Mülleimer wanderten, hatten die Veranstalter in diesem Jahr Besserung gelobt. Niedrigere Bierpreise und weniger rigide Einfuhrbeschränkungen sollten am Sonnabend für ein ungetrübtes Vergnügen sorgen. Über 10.000 vorwiegend jugendliche Festival-BesucherInnen verteilten sich bei Sonnenschein in den Grünanlagen und im kühlen Wasser. Unter ihnen auch Dr. Blohm und Herr Voss. Die unermüdlichen Erforscher der Popkultur wollten wissen, was Hard Pop eigentlich sein soll und ob sich ehemalige Untergrund-Kultur einer Freizeitpark-Erlebniswelt mit Bungee-Turm und patroullierenden Ordnungshütern unterordnen muß.
Dr, Blohm: Alles was recht ist, ein herrliches Wetter gab es diesmal, nicht wahr?!
Herr Voss: Ja! Eine Menge übermütiger junger Leute haben sich die T-Shirts bespritzt, die Hitze und das Bier zwangen auch schon früh manch' einen in die stabile Seitenlage. Aber ich habe nicht verstanden, welchen Geist Hitparaden-Hiphop wie Fettes Brot mit einer doch eher dubiosen Band wie Type O Negative verbindet? Was haben biedere Rocker wie Fury In The Slaughterhouse mit einer Techno-Guerilla wie Atari Teenage Riot gemeinsam?
Ich denke, daß sich hier die Vertreter einer 90er-Restekultur auf einen neuen Konsens einigen wollen. Ist den einzelnen Subkulturen jede soziale Sprengkraft verloren gegangen, so erweckt doch die Mischung wieder den Eindruck, daß nicht alles umsonst gewesen ist. Immerhin gibt man einer blutjungen, aufstrebenden Punk-Band wie der Terrorgruppe hier den Raum, um ihre Message einem größeren Publikum zuteil kommen zu lassen. Als eigentlichen Höhepunkt möchte aber den Auftritt von El Vez mit seinen Mariachis und den Lovely Elvettes nennen. Diese vergnügliche Verquickung von bekannten Melodien und einer Cartoon-Revolte kommt der Idee einer harten Pop-Ästhetik vieleicht am nächsten. Immerhin haben die tanzenden Zapatisten mit echtem Wasser auf die Leute geschossen und sich nicht in simplen Durchhalteparolen erschöpft wie die unerträglichen Vertreter des Altmetalls mit seinen neuen Spielarten. Ich verweise nur auf Dog Eat Dog oder die Krupps.
Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß auch die sogenannte Punk-Fraktion mit NOFX oder Terrorgruppe nicht gerade ihre jüngsten Vertreter am Start hatte. Auch hier fanden wir standardisierte Genre-Formate ohne jegliche innovative Aspekte.
Die waren ohnehin nur sporadisch vorhanden. Wenn der Breakbeat Hammer bei Atari Teenage Riot kreist ist dies musikalisch eine konsequente Erweiterung des Spektrums. Der revolutionäre Chic ist dabei nicht lustiger als der Karneval der Terrorgruppe.
Merkwürdig fand ich übrigens, daß ein Hardcore-Veteran wie der hart arbeitende Henry Rollins sich auf solch einer Veranstaltung bei strahlendem Sonnenschein als Anheizer auf der Hauptbühne wiederfinden mußte.
Das Glück, im Dunkeln in den vollen Genuß der Light-Show zu kommen, waren ohnehin Type O Neagtive. Schwülstig wie immer gab der sinistre Peter Steele den überzogen düsteren Romantiker und ließ sich dafür von seinen zahlreichen Fans feiern.
Da schien es niemanden zu stören, daß das Genre deutschprachiger Rockmusik aus Hamburg aus Protest gegen den Headliner Type O Negative komplett abgesagt hatte. Erschreckend dabei war, daß sich eigentlich niemand für neue Bands wie Shihad oder Sparkmarker interessiert hat. Erwähnenswert finde ich auch den Auftritt von F.A.B. Der Versuch, von Hip Hop eine kunterbunte Erlebniswelt ist so verpufft wie die Punk-Revolte.
Was übrig bleibt, ist im besten Falle Kurzweil. Getrübt wird die nur durch die kaum vermeidbare Eigenheit von Festivals, daß alle Auftritte recht kurz ausfallen. Einerseits ist das angenehm, wenn einem die Band ohnehin nicht gefällt, andererseits müssen Fans einer großartigen Band wie Chokebore sich mit einer halben Stunde Hör- und Sehgenußes begnügen.
Diese kamen sowieso nur als Paket mit Tad, um auch das Wehrschloß-Publikum zu ködern. Jenes war allerdings sowieso vor Ort, um an Bierständen und als grimmige Sicherheitskräfte für eine reibungslose Logistik zu sorgen.
Tja, Herr Voss. Dann scheint sich Bremen ja doch zu einem respektablen Festival-Standort zu entwickeln.
An uns soll es jedenfalls nicht scheitern.
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