: Kinder spielen ohne Zeug
■ Drei Monate lang verzichten Kindergruppen auf Playmobil und Puzzles. Das Ziel der Aktion: Mehr Miteinander, weniger Streß
Was gehört so sicher zum Kindergarten wie Kinder? Spielzeug etwa? Falsch! Denn daß es auch ohne die Segnungen der Spielwarenindustrie geht, beweist das Suchtpräventionsprojekt Spielzeugfreier Kindergarten. Gruppen, die daran teilnehmen, verbannen für drei Monate Puppen, Puzzles und Playmobil aus ihren Räumen. Übrig bleiben Stifte, Werkzeug, Polster und alte Klamotten zum Verkleiden.
„Jetzt könnten sich die Kinder endlich fragen: ,Was möchte ich eigentlich machen'“, sagt Doris Stüber-Happ. Die Lehrerin hat mit ihrer Kindergruppe des Stellinger „Vereins für Vorschulpädagogik“von März bis Juni beim Spielzeugfreien Kindergarten mitgemacht. Die 11 Drei- bis Siebenjährigen haben Geschichten erfunden, sich Spiele für Draußen ausgedacht, mit Wasser und Sand gematscht und alten Bewegungsspielen zu einer Renaissance verholfen. „Kindheit ist heute oft verplante Zeit“, meint Doris Stüber-Happ.
Während des Projekts „haben sich die Kinder besser kennengelernt“, erzählt die Lehrerin. Von der Anleiterin sei sie zur Mitspielerin geworden. Statt Bastelangebote vorzubereiten und beim Kleben und Schneiden zu helfen, konnte sie sich nun mehr auf die Kinder konzentrieren.
„Kinder werden heute mit Spielzeug überschüttet und langweilen sich doch unglaublich“sagt Monika Püschl, Leiterin des Büros für Suchtprävention in Hamburg. Die Fach- und Koordinierungsstelle für Suchtvorbeugung, deren Trägerin die Hamburgische Landesstelle gegen die Suchtgefahren ist, gibt ErzieherInnen Tips für den Spielzeugfreien Kindergarten.
Im vergangenen Jahr beispielsweise fand das Projekt in einem Eppendorfer Kindertagesheim statt, das gleichzeitig Ausbildungsstätte der Berufsfachschule für Kinderpflege ist. Entwickelt wurde das Konzept 1994 in Bayern. „Ein bedeutsamer Aspekt dabei ist, daß die Kinder mehr miteinander spielen und soziales Verhalten trainieren“, so Monika Püschl. Außerdem soll das Selbstvertrauen wachsen.
Das Spielzeug wird jedoch nicht grundsätzlich aus dem Kindergarten verbannt. „Das wäre ein illusorischer Anspruch“sagt Püschl. „Schließlich werden Kinder überall damit konfrontiert.“Auch in der Stellinger Kindergruppe sieht man's nicht ganz so eng mit dem Spielkramverzicht. Auf Wunsch der Mädchen und Jungen wurden die Duplo-Steine deshalb schon vor dem eigentlichen Ende des Projekts wieder hervorgeholt.
Sabine Schrader
Büro für Suchtprävention, Brennerstraße 90, 20099 Hamburg
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen