Werktreuer als das Original

■ Mit „The Black Rider“zieht das Junge Theater ab heute in die Schlacht um's Musical

„Man darf das Genre Musical nicht kampflos Stella und Konsorten überlassen“, meint Ralf Knapp, künstlerischer Leiter des Jungen Theaters, Regisseur, Schauspieler und – in finanzschwachen Zeiten – noch einiges mehr als ihm lieb ist, und stemmt mit bewunderswerter Risikobereitschaft die modernisierte Legende „Black Rider“auf die dritte Etage des Postamts am Hauptbahnhof. Bietet der Mainstreambetrieb schon längst immer seltener die Kunstinhalte, immer öfters den Event-Charakter drumherum zum Verkauf an, so lernt allmählich auch die alternative Szene das kalkulierte Erzeugen von Kultcharakter. Gut so.

Halliges Loft-Ambiente stillgelegter Betrieb-samkeit, rauschende Partys an den Wochenenden, auratische Namen, Text vom greisen Burroughs, Musik Tom Waits, Integrationsfigur Robert Wilson: „Black Rider“hat alle Voraussetzungen, zum Stadtgespräch zu werden. Muß es werden!!!

Jeder Bankangestellte weiß: Im „richtigen“Leben geht jeder zugrunde, der sich verausgabt, oder zumindest: der zuviel ausgibt. Für das Junge Theater aber gilt: „Wir können nur existieren, wenn wir permanent über unsere Verhältnisse leben.“Ein Klassesatz. Ein Merksatz, so fürs Leben. Ausgaben häufen sich – wie immer – just da, wo man sie nicht sieht, nicht erwartet hat. Auf 350 Mark pro Tag belaufen sich allein die Betriebskosten für den Raum, Strom für Klimaanlage, Fahrstühle. Und flux sind 120.000 Mark Spiel-Einsatz beisammen. Erfolg ist Pflicht.

Zweimal war „Black Rider“vertreten beim legendären Berliner Theatertreffen, zunächst einmal natürlich das ruhiggestellte Wilson-Original des Hamburg Thalia-Theaters, fünf Jahre später die beschleunigte Dortmunder Fassung. Seit Ruhrpotts Mut zur Entartifizialisierung von Erfolg gekrönt war, fanden auch andere Städte die Chuzpe, Hand an das Gesamtkunstwerk zu legen. „Black Rider“wird „landauf, landab durchgereicht, bis zu einer Wohnzimmerinszenierung des Züricher Theaters am Neumarkt. Auch das Bremer Schauspielhaus signalisierte Interesse. Da standen wir aber schon längst in Verhandlungen mit dem Verlag.“Knapp sah die Wilson-Version erst sehr spät und „war enttäuscht. Unser ,Black Rider' ist werktreuer. Wilson inszeniert Wilson, mit hohem Material- und Geldeinsatz. Wir arbeiten den Subtext hervor.“

Am „Black Rider“lockten zwei Dinge. Als Knapp vor eineinhalb Jahren endgültig zum Jungen Theater stieß, beeindruckten ihn die Musiker aus dessen Umfeld, „hochinteressante Gestalten, die skurrile Wege beschreiten.“Für diese Wege bietet Tom Waits Klavierauszug ein ergiebiges Terrain. Mark Scheibe machte sich ohne allzu großen Respekt vor der Originalinstrumentierung auf die Suche nach der unverwechselbaren Waits-Melancholie. (Höchst beeindruckend, soviel sei schon vorab verraten.)

Vor allem aber reizte das Stück selbst. Die Gelenkstelle von Burroughs Freischütz-Adaption ist ein Teufelspakt. Und den liest Knapp als „Metapher für jeden Selbstüberhebungsversuch des Menschen...Die bürgerliche Welt mit ihren Ordnungsmechanismen funktioniert nicht. Dahinter lugt immer schon das Grinsen des Teufels. Die Gegenwelt der großen Gefühle, Liebe und so, hilft aber auch nicht weiter. Von diesen Gefühlen distanzieren, möchten wir uns aber keinesfalls in dieser Inszenierung.“Klassisch-antike Ausweglosigkeit also. Eine Musicaltragödie mithin. bk

Black Rider: Premiere heute, 16. Juli, 20.30 Uhr im Postamt 5