: Strahlenskandal skandalös vertuscht?
■ Ein Gutachten von 1993 attestiert der UKE-Frauenklinik vorbildliche Methoden
Wer wann was wußte, weiß Wilhelm Funke noch nicht. Doch der Patientenanwalt ist sicher: „Wir wurden möglicherweise seit vier Jahren verkohlt.“Betrogen fühlt er sich von den Verantwortlichen in der Wissenschaftsbehörde und im UKE. Der Grund: Die Behörde hatte 1993 ein Gutachten über die Bestrahlung von Krebskranken in der Frauenklinik in Auftrag gegeben, das sich jetzt als offenkundig falsch entpuppt hat. „Ich kann mir nicht vorstellen, daß das niemandem aufgefallen ist“, sagt Funke.
Die Beurteilung verleiht dem Universitätskrankenhaus quasi das Prädikat „gesundheitlich unbedenklich“. „Die derzeit angewandten Behandlungskonzepte entsprechen nationalen und internationalen Standards und berücksichtigen gesicherte wissenschaftliche neue Erkenntnisse“, lobten damals die drei Autoren unter der Leitung des Erlanger Professors Dr. Michael Bauer.
„Ein Falschgutachten“sei das, schimpft Wilhelm Funke. Denn die Beurteilung hat drei Haken. Erstens kam vergangene Woche ein renomiertes Expertenteam zu einem gegenteiligen Ergebnis. Schon in einem Standardwerk für Strahlenmedizin von 1987 sei nachzulesen gewesen, „daß die Methoden nicht mehr dem Stand der Wissenschaft entsprachen“, sagt Funke.
Der zweite Haken des Gutachtens von 1993: Die drei Gutachter gehören sämtlich zur Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Radiologie, deren stellvertretender Vorsitzender, Professor Jens Bahnsen, als Oberarzt in der UKE-Frauenklinik arbeitet. Bahnsens Vorgesetzer Chefarzt war 1993 Hans-Joachim Frischbier – der Krebskranke zu hoch bestrahlt hat. Daß die Gutachter deshalb befangen sein könnten, fürchtete die Wissenschaftsbehörde offenbar nicht. Sie ließ Bauer noch weitere Experten für Gutachten nennen. „Die Behörde hat Bauers Vorschläge unkritisch übernommen“, schimpft Peter Zamory, gesundheitspolitischer Sprecher der GAL.
Und noch eine dritte Merkwürdigkeit hat Wilhelm Funke entdeckt: Kurz nachdem das Bauer-Gutachten erschienen war, reduzierte die UKE-Frauenklinik ihre Strahlendosen – obwohl die angeblich dem Standard entsprachen.
„Wenn ich herausfinde, daß ein Verantwortlicher in Hamburg das wußte, werde ich für alle Beteiligten erhöhtes Schmerzensgeld geltend machen müssen“, kündigt Funke an. Bewiesen ist bisher jedoch nichts. Heute tagt zunächst der Wissenschaftsausschuß. Der Ärztliche Direktor des UKE, Professor Hein-Peter Leichtweiß, Senator Leonhard Hajen (SPD) und der derzeitige Chefarzt der Frauenklinik, Winfried Alberti, werden sich auf kritische Fragen einstellen müssen. juw
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