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Der homosexuelle Mann... Von Elmar Kraushaar

...löst auf der Gegenseite immer wieder die abenteuerlichsten Assoziationen aus. Jüngstes Beispiel: der Tod des italienischen Modedesigners Gianni Versace. Vier Stunden nach seiner Ermordung in Miami Beach gehen die ZDF-Nachrichten „heute“ auf Sendung, Aufmacher Versace. Noch gibt es nicht viel zu berichten, die aktuellen Bilder reichen für eine knappe Minute. Also wird eine Schalte drangehängt, die die brandaktuelle Nähe zum Geschehen simuliert. Dabei kann Klaus-Peter Siegloch aus den USA nicht mehr reportieren, als er schon in seinem Beitrag erzählt hat. Bis auf eine entscheidende Frage: „Weiß man mehr über die Hintergründe der Bluttat?“ fragt es aus der Bodenstation Mainz. „Zuverlässiges kann man noch nicht sagen“, antwortet Siegloch und fährt unbeirrt fort: „Man sollte aber eines wissen: South Beach Miami hat eine blühende Homosexuellen-Szene. Und in dieser Szene hat Gianni Versace viele Freunde gehabt.“

Was will uns Herr Siegloch damit sagen? Daß der Modemacher schwul war? Daß die „Homosexuellen-Szene“ immer auch gut ist für ein Verbrechen? Welch perfide Scheinheiligkeit der Information! Da parliert der Reporter mit seriösem Augenaufschlag von solch netten Dingen wie „blühender Szene“ und „vielen Freunden“ und will doch nur suggerieren, daß man für die Aufklärung der Tat doch bitte schön genau diese Szenerie unter die Lupe nehmen sollte.

Im Laufe des Abends verdichtet sich die Sieglochsche Fährte, auch die ARD spricht vom „Mekka der Homosexuellen“ und vom „sprudelnden Leben der Homosexuellengemeinschaft“ in Miami Beach. Als dann tatsächlich ein angeblicher Stricher zum Hauptverdächtigen wird, gibt es in den Nachrichten kein Halten mehr. Der Verweis auf „das Milieu“ fehlt in keiner Sendung, bei keiner Agentur. Die Nachrichtenagentur Reuter bringt den Homo-Verweis noch ganz verquer: „Im November hatte Versace öffentlich erklärt, er kämpfe mit einem Tumor. Es war diese Offenheit, die ihm auch in der Homosexuellen-Szene große Hochachtung einbrachte.“ AP hingegen kommt ohne Umschweife auf den unlogischen Punkt: „Der Verdächtige bewegte sich in der Vergangenheit in homosexuellen Kreisen, auch der ermordete Versace war als homosexuell bekannt.“

Noch einmal die Frage: Was sagt uns das? Wenn der Verdächtige denn schwul gewesen sein sollte, warum der beharrliche Verweis auf das ganze „Milieu“? Sind alle Schwulen potentielle Täter? Oder potentielle Opfer? Und welche Vorstellungen vom „Milieu“ verbergen sich hinter der bedrohlichen Rede darüber? Die ganze schwule Bande eine kriminelle Vereinigung? Eine geschlossene Gesellschaft mit mafiaähnlichen Strukturen? Man kommt überhaupt nicht auf soviel Dreck, der in den Köpfen der Leute herumschwirrt, sobald sie das Wörtchen „homosexuell“ hören. Auf jeden Fall ist die bewährte Tradition der Faustregel „Homosexualität = Verbrechen“ noch lange nicht am Ende. Das Milieu reagierte prompt auf das Verbrechen: Die Kollegen der einen und/oder anderen Art wie Mooshammer, Joop, Lagerfeld und Boy George äußerten via TV ihre Trauer, und eine schwule Anti-Gewalt-Gruppe in den USA setzte eine Belohnung von 10.000 Dollar für Hinweise aus, die zur Ergreifung des Täters führen.

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