Wahlkampf zwischen Ost-Identität und Kiezmilieu

■ Die PDS auf der Suche nach einer prominenten KandidatIn, die den Wahlbezirk Mitte/Prenzlauer Berg für den demokratischen Sozialismus gewinnen kann

Gregor Gysi in einem Bierzelt im Mai. Im Publikum so mancher Mann mit Trainingshosen, den Bierhumpen auf dem Holztisch. Daneben blasse Rentner, ein paar Bunthaarige an die Zeltplane gelehnt. Frauen zwischen 35 und 60, die ihre ernsthafte Erwartung auf den demokratisch-sozialistischen Rhetoriker auf dem Podium richten. Gysi beginnt langsam, spricht über den Euro, redet sich warm und hält schließlich flammende Plädoyers für den Erhalt von Arbeitsplätzen, gegen den Abbau der sozialen Standards durch den Euro und verspricht in Nachfolge der Liberalen Partei für Bürgerrechte einzutreten. Auf dem Arkonaplatz in Mitte ist Gysi ein voller Erfolg.

Fast überall dort, wo Gysi auftaucht, ist er der Erfolg – aber Gysi kann nicht überall sein.

Wer sonst könnte den Wahlbezirk Prenzlauer Berg/Mitte bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr für die PDS gewinnen? Muß derjenige mehr die ostdeutsche Identität verkörpern? Muß diejenige aus der alternativen Szene von Prenzlauer Berg stammen? Und wer könnte das aufstrebende Kultur- und Yuppiemilieu vom Kollwitzplatz zur Wahlurne locken? Die PDS steht vor dem Bundeswahlkampf in einer Zwickmühle: Die Bezirksorganisationen wollen keinen Kandidaten von außen aufgedrückt bekommen, doch die Bundespartei sorgt sich, eines der vier Bundestagsdirektmandate zu verlieren.

„Für die PDS ist der Bezirk Mitte/Prenzlauer Berg einer der heikelsten“, sagt André Brie, Wahlkampfleiter der Partei des Demokratischen Sozialismus. „Doch wir haben noch niemanden im Auge, der für uns antreten könnte.“ Zur Bundestagswahl 1994 hatten sich im Wahlbezirk Mitte/Prenzlauer Berg der ostdeutsche Schriftsteller Stefan Heym für die PDS und der ostdeutsche Sozialdemokrat Wolfgang Thierse ein Kopf-an-Kopf- Rennen geliefert. Thierse schnitt dabei als Zweiter ab. Im kommenden Jahr will Thierse wieder antreten, und auch für die anderen Parteien werden wohl Ostdeutsche um das Direktmandat kämpfen. Bei der CDU stehen die von den Bündnisgrünen gewechselten BürgerrechtlerInnen hoch im Kurs, bei den Grünen ist Marianne Birthler im Gespräch. Nur die PDS hat ein Problem: Stefan Heym tritt nicht mehr an. Kurz nach der letzten Bonner Diätenerhöhung verließ er das politische Parkett und brachte seine Schäfchen ins trockene.

Auf dem trockenen sitzen deshalb jetzt auch die Bezirksverbände Mitte und Prenzlauer Berg. Der alte Antifaschist und DDR- Opponent verkörperte wie kein anderer die Mischung, die in Prenzlauer Berg heimisch ist. Auf ihn allein hatte die PDS ihr Profil zugeschnitten. Ihm allein, so befürchten manche GenossInnen, konnte die „Partei des Demokratischen Sozialismus“ ihren Wahlerfolg verdanken. Dem Wahlerfolg ihrer vier DirektkandidatInnen aber – drei davon in Berlin – verdankt die Partei den Einzug in den Bundestag. Für kleinere Parteien mit regionalem Schwerpunkt gilt die Fünfprozentklausel nicht, wenn sie mindestens drei Direktmandate erhält. Deshalb suchen die GenossInnen von der PDS händeringend nach einer Kandidatin oder einem Kandidaten. Von den möglichen KandidatInnen haben schon zwei abgewinkt: Gregor Gysi will den Bezirken Hellersdorf und Marzahn treu bleiben. Die Ost-Schriftstellerin Daniela Dahn, die Brie „liebend gerne“ als Kandidatin sähe, wollte von einer PDS- Kandidatur nichts wissen. „Sie will Schriftstellerin bleiben“, berichtet Brie. Bleibt derzeit nur noch der Dritte im Bunde: der Parteivorsitzende Lothar Bisky, auch er gilt als potentieller Kandidat.

Die KandidatInnensuche steht vor einem schwer lösbaren Problem: Für den Bezirk suchen die demokratischen SozialistInnen eine prominente Person, die es mit Thierse aufnehmen kann. „Wir müssen außerdem zwei Gruppen ansprechen“, sagt André Brie, „die PDS-Mitglieder, die in starkem Maße aus der DDR-Elite stammen, und die Kulturszene, die sich eher zu den Grünen hingezogen fühlt.“ Für die einen sei Ost-Identität Grundlage der politischen Präferenz, den anderen sei die Ost- Identität sehr fremd.

Die Koordination der Bundespartei sorgt indes auch schon für Unmut, die Bezirkspolitiker fühlen sich übergangen. „Ich habe von einer möglichen Kandidatur Dahns aus der Presse erfahren“, berichtet Thomas Götze, Geschäftsstellenleiter der PDS in Prenzlauer Berg.

Und während Brie „auf die Wählbarkeit und unser Profil“ achten muß, will die Basis jemanden finden, der für den Bezirk steht. Die Suche läuft jetzt auf Hochtouren, aber um weiteren Ärger zu vermeiden, hat sich der kleine Wahlkampfstab nun zu absolutem Stillschweigen über den Fortgang der KandidatInnensuche verpflichtet. Barbara Junge