„Konzentrier dich auf deine Augen, Stefan!“

Wie sich eine Casting-Agentin auf die Suche nach dem richtigen Mann für einen Werbespot mit Kugelfisch macht  ■ Von Birgit Glombitza

Ein Blick genügt. Die Casting-Regisseurin Ingeborg Molitoris hat das Dilemma sofort erfaßt. Das Hemd ist zu klein. Der oberste Knopf geht nicht zu. „Es hieß, ich sollte ein blaues Hemd anziehen, da habe ich halt nur dieses alte, und das paßte auch mal“, erklärt Stefan B. und wippt von einem Bein aufsandere, wie Balou der Bär beim Einswingen zum Bananenröckchentanz.

Die große Frau mit energischem Pumpsschritt fädelt sich durch die weißen Stellwandkulissen hindurch auf Stefan zu. In der rechten einen Puderpinsel, mit der linken wedelt sie vorfreudig mit einem Handtuch. Ingeborg Molitoris hat heute noch einiges auf dem Zettel. Rund 20 Männer werden in ihrer Casting-Agentur für den TV-Spot einer Bank vorsprechen. Hochgerechnet bedeutet das: 183 Takes auf Homatic-Bändern, mindestens zehn Frotteetücher, ebenso viele Text-Hänger, 2.368 Erklärungen, etwa 54 aufmunternde Scherze, gut plaziert, und cirka 200mal „Und, bitte!“

Im fertigen Spot wird der Erwählte in einem Aquarium zwischen hinzuanimierten Fischen sein Kleinsparerherz vor Freude über die unglaublichen Vorzüge dieser einen Bank hüpfen lassen. Ein Job, den nicht jeder erledigen kann. Die auftraggebende Werbeagentur hat ganz genaue Vorstellungen für ihren Mann: sympathisch, um die 30, dunkle kurze Haare, ausdrucksstarke Augen. Sein Gesichtsausdruck soll ihn „so interesting“machen.

Stefan knickt den Kopf nach hinten und hält die Luft an, damit Ingeborg Molitoris den letzten Eigenwilligen in der Leiste durch das strapazierte Knopfloch zwingen kann. „Stefan?“Der Puderpinsel tanzt über Stefans rosige Wangen -„Ja?“antwortet dieser so höflich wie man das eben in Zahnarztpatientenhaltung sagen kann. „Stefan, du mußt dich auf deine tollen Augen konzentrieren. Gib mir dein verschmitztes, charmantes Lächeln. Du mußt die Leute kriegen“, bestimmt Frau Molitoris und frottiert herzlich die transpirierende Stirn ihres Mimen.

Dann schaut die Regisseurin Stefan noch einmal besonders freundlich und lange in die Augen. Das macht sie eigentlich die ganze Zeit, nur am Monitor hinter der Kamera. Ingeborg Molitoris stützt ihren Kopf auf die Hände, als sei er ein empfindliches Instrument, das man besser auf ein Stativ setzt.

„Man hat schon Macht über die Leute, entscheidet mit einer kleinen Bemerkung über Wohl- oder Unbehagen und sieht die Reaktionen sofort auf dem Bildschirm“, sagt Ingeborg Molitoris. Als Voyeurin sieht sie sich nicht, auch wenn sie manchmal neben sich steht und sich beim Beobachten beobachtet. Sie ist eher eine „Entdeckerin schlummernder Potentiale“. Schließlich kann auch in einem arglosen Laien ein „Hallo, Herr Kaiser“stecken. Manchmal hat sie auch Mitleid, wenn sich einer „abzappelt“und die Prozedur vor der Kamera in einem naßgeschwitzten Psychotrip endet.

Stefan B. konzentriert sich also auf seine Augen. „Augen, Augen, zack, zack“, befiehlt er sich murmelnd. Dann rollt er seine Augenbälle dramatisch in die rechte obere Ecke. „So?“hofft er. „E-X-A-K-T, Stefan. Yes, yes, yes, das will ich sehen“, sie fällt in einen Zustimmungsschluckauf. „Okay, okay, okay ... Kamera läuft. Und bitte.“

Stefan schaut, die Lider hochgezogen bis zum Anschlag, ins Objektiv. Seine Stimme hüpft und gluckst vor selbstverordnetem Spaß und ausgiebiger Lebensbejahung, als müßte er einem Zyklopen mit äußerst schlechter Laune ein popeliges Sparbuch im Tausch für die arme eigene Seele andrehen. „Der Liebhaber von Geldanlagen trifft bei der *-Bank auf eine große Artenvielfalt.“

Der Atem hüpft verzückt. Stefan gibt jetzt noch einmal alles. Frau Molitoris dankt mit einem sparsamen Nicken. Sie muß sich konzentrieren. Stefans Augen kullern überschwenglich in jede Ecke, überall dorthin, wo sich später Wassertiere stellvertretend für Prämien und Zinsen vor dem close-up des Stefan B. wichtig machen. „Da wäre das Sparbuch“, raunt er, jetzt etwas rätselhafter. „Gut“, schallt es aus der Kulisse, „das macht es dramatischer.“– „... oder die Investmentfonds mit ihren enormen Renditen ...“– „Stefan?“– „Ja?“– „Stefan, bei enorm, da bist du ganz irritiert. ENORME Renditechancen, das ist eine Irritation, das müssen wir sehen. Da kommt ja auch der Kugelfisch an deinem Kopf vorbeigeschwommen. Okay? Okay, okay.“Frau Molitoris hat jetzt Reptilienaugen. Kein Wimpernschlag durchwischt ihren Blick auf den Monitor. Es soll der letzte Take werden. „Und bitte, Stefan.“

In Stefans Gesicht stapeln sich zur Probe noch einmal sämtliche Kugelfische der Weltmeere. Er hat verstanden. „... mit ihren enORMen Renditechancen.“Langsam sieht Stefan B. selbst aus wie ein Kugelfisch, die Augen treten raus, der Mund blubbert ein enorm voluminöses „enorm“. Jetzt fehlt nur noch der Schlußsatz. Ein Hammertelefonhörerfisch soll dabei an der Nase des geldinstitutsbegeisterten Kopfes vorbeischwimmen, und Stefan muß jetzt brüllen: „Rufen Sie jetzt an!“Stefan brüllt. „Stefan?“- „Ja?“- „Stefan, du bist genau in der richtigen Richtung, aber ,immer auf hohem Zinsniveau', das muß einfach freudiger kommen.“Pause, Abpudern, von vorne, und gestorben.

„Stefan?“- „Ja?“– „Stefan, wir nehmen die achte, trotz des Hängers mit dem Sparbuch.“- „Ja, ja, das Sparbuch, Sparbuch.“- „Tschüssi, Stefan. Hallo, Jürgen!“Stefan geht. Jürgen kommt.

„Jürgen?“- „Ja?“-“Jürgen, hast du noch ein anderes Hemd mit? Oder mach doch bitte den obersten Knopf zu.“- „Ja, mmmh, das mit dem Knopf ist so eine Sache...“

taz-Serie Voyeure, Teil 2: Ich sehe dich, was du nicht siehst – ein Detektiv auf der Pirsch. Am Donnerstag, den 24.7.