„Gewalt zum Thema machen“

■ Immer mehr KlientInnen werden im Sozialamt gewalttätig / Aber auch aggressive MitarbeiterInnen werden künftig zwangs-fortgebildet

Zum Äußersten – wie zur Brandstiftung im Stadtamt nach einer abgelehnten Kneipenlizenz – kam es in Bremer Sozialämtern noch nicht. Dennoch fühlen die meisten MitarbeiterInnen sich an ihrem Arbeitsplatz im Waller Volkshaus regelmäßig unwohl.

Wer mit ihnen redet, erfährt: JedeR hat hier schon herbe Erfahrungen gesammelt. Dazu gehört, beschimpft, angespuckt und bedroht zu werden. Türen knallen, Schreibtische werden von Wildfremden „abgeräumt“. Eine Statistik über die Vorfälle führt niemand. Aber alle wissen, in diesem Jahr floß bereits zweimal Blut.

„Zwei Kolleginnen wurden angegriffen“, sagt Personalrat Burkhard Radtke. Der einen fehlten anschließend büschelweise Haare, eine Sozialhilfeempfängerin hatte sie direkt an der Tür überfallen. Eine andere Mitarbeiterin erlitt Prellungen und Schürfwunden, nachdem ein Mann gegen sie tätlich geworden war.

Den MitarbeiterInnen im Sozialamt soll eine neue Dienstvereinbarung jetzt klarere Vorgaben zum Umgang mit und zur Vermeidung von Gewalt machen. Dienstbesprechungen werden künftig mindestens einmal jährlich Gewalterfahrungen und Maßnahmen zur Abhilfe thematisieren.

„Wir haben hier nicht täglich Wild-West“, betonen zwar Personalrat und auch Amtsleiter Herbert Wiedermann gleichermaßen. Doch sei Agression und Gewaltbereitschaft schlimmer geworden. Vor dem Hintergrund einschneidender Sparmaßnahmen in allen Hilfebereichen gehen unzufriedene Bedürftige immer öfter gegen die ersten vor, die sie erwischen können – „und das sind oft SachbearbeiterInnen, die für diese Situation wirklich nicht ausgebildet sind.“

Fortbildung soll den 800 Beschäftigten jetzt helfen, aggressive Situationen zu entschärfen – oder KollegInnen dabei zu unterstützen. „Hier gibt's viele Einzelkämpfer“, sagt selbst der Personalrat. Aber so funktioniere Konfliktvermeidung schlecht.

Daß auch Sachbearbeiter Konflikte provozieren, weiß man im Amt. „Aber die Arbeitsbelastung steigt“, sagen SachbearbeiterInnen. Zwei Stunden Wartezeit vor ihren Türen sind in der Ferienzeit und zu Monatsbeginn die Regel. „Das nervt uns auch.“

Wer unter MitarbeiterInnen allzu oft als genervt auffällt, der soll in Zukunft zu Fortbildungen verpflichtet werden können, bestätigt der Personalrat. „Das Tränengas oder die Gaspistole in der Schublade wird es bei uns nicht geben“, sagt Amtsleiter Herbert Wiedermann. Um die Stimmung auch der Hilfesuchenden aufzuhellen, will er stattdessen in schönere Flure, Spielecken für Kinder und ein verbessertes Leitsystem investieren. ede