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Kehrseite der Zivilisation

■ Erlebnistour in der MVA: Dort werden jährlich 250.000 Tonnen Müll verbrannt

Weiße Lastwagen spucken ihre übelriechende Fracht in den Schacht der Bremer Müllverbrennungsanlage. Was daneben geht schieben Bulldozer hinterher. Gelegentlich landen auch tote Katzen im 30 Meter tiefen Loch.

„Sie ahnen ja gar nicht, was wir alles in den Mülltonnen finden“, sagt Jörg Schiel, Ausbildungsleiter der MVA. Er sorgt sich besonders um Plastikbecher, Batterien und Farben. „So entstehen zwangsläufig giftige Furane und Dioxinverbindungen. Sortieren können wir im Moment nicht, da sind die Kunden verantwortlich“, mahnt er die acht Unverdrossenen, die sich bei der „Tour de Müll“der Bremer Entsorgungsbetriebe informieren.

Über dem Schacht fährt ein grüner Kran. Mit seinem Greifarm mischt er das Müllgebirge durcheinander. Holz und Plastik sollen neben undefinierbaren Gammel, trockene Masse neben feuchtglänzenden Resten liegen. „Damit es besser brennt“, sagt Schiel und zeigt auf einen roten Feuerlöscher mitten im Müll, „der rutscht so mit durch“. Weiter vorn liegt ein Haufen aus Matratzen und Autoreifen. Die hat der Kranfahrer aussortiert, weil sie nicht in den Ofen gehören. Doch nur die dicken Brocken geraten ihm in die Fänge.

Die Sicht in den Müllberg ist schlecht. Das Führerhäuschen verschwindet fast hinter den dicken Staubschwaden. Es stinkt infernalisch. Wie Nieselregen setzen sich feine Müllpartikel auf den Pullover, dringen in die Haaren ein und steigen in die Nase. Vereinzelt ist ein Niesen zu hören. Bald streben die Besucher gen Ausgang.

Über den Werkshof der MVA geht es zu den Brennkammern. Hier endet der Weg für die 250.000 Tonnnen Bremer Restmüll, den die Lastwagen jedes Jahr in den Müllschacht kippen. Fassen könnten die Brennkammern einiges mehr, sagt Schiel. Aber die MVA ist nicht ausgelastet. Bei einem Entsorgungspreis von 800 Mark pro 20 Kubikmeter-Container kippten Gewerbekunden ihren Dreck lieber auf die Deponie, das sei billiger.

Der Gestank fällt vor den Brennkammern deutlich milder aus. Die Müllwerker, die den Ofen regulieren, haben sich offensichtlich sowieso daran gewöhnt, die Tür zum verglasten Steuerstand steht sperrangelweit offen. Drinnen ein Plausch unter Kollegen.

Die Besucher starren durch kleine Sichtfenster in den Feuerschein.

Drinnen qualmts mächtig. „Fil- tersysteme säubern die Rauchgase“, sagt Schiel, „was bei uns durch den Schornstein geht, ist weniger giftig als der Rauch im Hausofen“. Übrig bleiben in den Filtern jährlich 5.000 Tonnen giftiger Rückstände, die im Ruhrgebiet unterirdisch gelagert werden.

Ein paar Meter weiter fällt auf schwarze Förderbänder, was vom verbrannten Abfall übrigblieb: Dampfender Schlamm und schwarze Schlacke, ab und an ein Eisenstück, dazu noch das angekokelte Zeitungsbild einer jungen dunkelhaarigen Frau. Draussen schiebt eine Raupe den schwarzen Schlick zu einem Haufen zusammen.

Was nicht in der MVA verbrannt wird, landet auf der Blocklanddeponie auf der anderen Seite der Autobahn. Hier rumpeln „Kompaktoren“, schwere Bulldozer mit stacheligen Stahlrädern über den Müllberg und verdichten die Masse. Es müffelt fischig. Angetan mit orangen Müllwerkerwesten stolpert die verlorene Besucherschar an den gelben, baumdicken Stahlrohren der Entgasungsanlage vorbei über alte Schuhe und gepressten Hausrat. „Grünabfälle, Erde und Holz kommen auf die Kompostierungsanlage“erläutert Tourleiterin Annette Groddeck von der BEB. Ein paar Meter weiter schippt ein Mann Rasenstücke und bemooste Schilfmatten vom Anhänger. Zum Abschluß der Tour de Müll führt Groddeck die Besucher vor den haushohen „Sperrmüllberg“: „Das ist die Kehrseite der Zivilisation.“

Christian Sywottek

Informationen zur Tour de Müll bei der BEB unter

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