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Wir basteln uns einen Widerstandskämpfer Von Wiglaf Droste

„Eher freß ich eine Frikadelle aus Granit / Als daß du rumfurzt in der Villa Hammerschmidt!“ So furios endet Horst Tomayers leidenschaftliches Pamphlet „Ein Mensch steht auf gegen Heitmann“, das Tomayer im Oktober 1993 schrieb. Der Dichter behielt recht: Steffen Heitmann trat zur Wahl des Bundespräsidenten erst gar nicht mehr an.

Ins Rennen geschickt worden war Heitmann von Bundeskanzler Helmut Kohl, der eine Art Testballon brauchte: Wieviel ganz offen gezeigten rechten Muff hinzunehmen waren die Insassen des Landes bereit? Das wollte Kohl wissen, und brav lief sein Minenhund Heitmann los. Und trat alle naslang voll rein: 50 Jahre danach habe man als Deutscher endlich das Recht erworben, mit Auschwitz in Ruhe gelassen zu werden; Frauen sollten sich klassisch um Kinder, Kaffee und Karlheinz kümmern, und aus dergestalt sanierten deutschen Familien heraus finde dann auch das von Ausländern möglichst gereinigte Vaterland wieder zu Recht und Ordnung zurück.

Diese in Deutschland nicht seltene Auffassung von Geschichte wollten aber selbst Deutsche vom geistigen Zuschnitt Angelas Merkels und Rudolf Scharpings nicht teilen, jedenfalls nicht öffentlich und nicht so deutlich formuliert. Nachdem er ein paar Wochen den Watschenmann für demonstrativ empörte Demokraten gegeben hatte, wurde der Kandidat Heitmann zurückgepfiffen. Als die Anti-Heitmann-Deutschen kurze Zeit darauf Roman Herzog zum Präsidenten bekamen, durften sie dabei das gute Gefühl haben, Schlimmeres, wenn nicht Schlimmstes verhütet und sogar gewonnen zu haben. (Helmut Kohl ist eben nicht ganz so dumm wie die Legion der ihn parodierenden Kabarettisten, die in Ermangelung eines Berufs oder eines Gedankens ihrem gleich ihnen stupiden Publikum jahrelang die Legende von der Kohlschen Doofheit andienten.)

So gesehen ist es nur logisch, daß Steffen Heitmann am 18. Juli 1997 in Stuttgart mit dem erstmals verliehenen Eugen-Bolz-Preis nicht für gutes Bolzen, sondern „für seine Verdienste um den Aufbau der Demokratie in Ostdeutschland“ geehrt wurde. Eugen Bolz, ein Württemberger Politiker der katholisch-konservativen Zentrumspartei, zwischen 1919 und 1933 Reichsfußball-, nein: Reichsinnen- und -finanzminister, wurde nach dem 20. Juli 1944 von den Nazis hingerichtet. Steffen Heitmann, so die baden-württembergische Kultusministerin Anette Schavan in ihrer Laudatio, sei in Sachsen „in der Opposition gegen das regierende DDR-Regime aktiv“ gewesen und habe „auch Widerstand geleistet“. „Auch Widerstand“ ist schön gesagt / wogegen, wird nicht nachgefragt.

So gehört Steffen Heitmann seit dem 18. Juli 1997 zu den Widerstandskämpfern, zu den „Männern des 20. Juli 1944“, die den Nachkriegsdeutschen auch heute noch so wunderbar zupaß kommen als Retter des deutschen Ansehens, und von denen nicht wenige Steffen Heitmanns Sicht auf die Juden und auf die Frauen ebenso teilten wie die auf „das heilige deutsche Vaterland“, das der Hitler-Attentäter Stauffenberg noch direkt vor seiner Hinrichtung beschwor.

Adolf Hitler aber war Antifaschist, eigentlich; Ernst Jünger dagegen: Widerstandskäfer.

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