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Sex und Mode vom Balkon

■ Das erste Privatradio in Albaniens Hauptstadt begann im Chaos. Die Technik ist selbstgebastelt, ein Rundfunkgesetz gibt es nicht. Wenn es da ist, droht mehr Chaos

Die Sozialisten machen demnächst Regierungspolitik in Albanien, rivalisierende Banden machen den Süden des Landes unsicher. Und was macht Enno Alimerko? Er macht Radio, genauer gesagt „Radio Ime“, zu deutsch: Mein Radio. Anfang März dieses Jahres ging die erste private Rundfunkstation in der Hauptstadt Tirana auf Sendung. Zur gleichen Zeit gingen Panzer in Stellung. Denn kurz zuvor waren die dubiosen Finanzpyramiden zusammengebrochen, das betrogene Volk griff zu den Waffen, und das Land versank im Chaos. „Ich dachte, das wäre das Ende“, sagt Enno.

Doch der 33jährige machte weiter. Mit Erfolg. Denn mittlerweile ist die Vierzimmerwohnung im Zentrum Tiranas mit der improvisierten Antenne auf dem Dach eine bekannte Adresse. Während Enno von einem zum Studio umfunktionierten sechs Quadratmeter großen überdachten Balkon aus moderiert, steht das Telefon nicht still.

Radio Ime sendet täglich von 6.30 Uhr bis 23 Uhr. Das Programm mit viel Musik richtet sich vor allem an Frauen und junge Leute. So gibt es Tips zu Kosmetik, Mode und Gesundheit. Auch Wechselkurse sowie die aktuellen Preise für Obst und Gemüse werden den Hörern regelmäßig mitgeteilt. Reportagen und Features machen Sexualität, Probleme mit Drogen oder Prostitution zum Thema. Dreimal am Tag gibt es einen siebenminütigen Nachrichtenblock, der auch mal länger sein kann. Und solche Anlässe gibt es in Albanien mehr als genug, wo knapp einen Monat nach den Parlamentswahlen immer noch Ausnahmezustand herrscht und jeden Tag Menschen getötet werden.

Außer Enno, der vorher Musikredakteur beim staatlichen Radio Tirana war, sitzt noch seine Schwester Anila täglich einige Stunden vor dem Mikro. Sie ist noch bei Radio Tirana unter Vertrag. Auch eine Professorin vom Lehrstuhl für Journalistik der hauptstädtischen Uni schiebt Schichten auf dem Balkon. Außerdem vermittelt sie Studenten höherer Semester, die hier praktische Erfahrungen sammeln.

„Unsere Ausstattung ist zwar nicht gerade professionell“, sagt Enno – die CD-Anlage und das Mischpult hat er in Italien gekauft, viel aber auch selbst zusammengebastelt –, „aber nicht die Technik macht ein gutes Radio, sondern die Menschen. Und wie man gutes Radio macht, das wissen wir.“

Doch Know-how nützt wenig, wenn das Geld fehlt. Dabei hatte sich alles ganz gut angelassen. Verträge mit Kosmetikfirmen und Coca-Cola waren schon vorbereitet. Auch Reisebüros und Fluggesellschaften hatten Radio Ime als Werbemedium entdeckt. Doch der Ausbruch der Krise machte das zunichte.

Aber nicht nur fehlendes Geld erschwert die Arbeit. Bislang gibt es in Albanien kein Gesetz über privaten Rundfunk. Zwar liegt jetzt ein Entwurf vor, doch der wird frühestens in einem Jahr in Kraft treten und dürfte das Chaos noch vergrößern, meint Anila. So sieht der Entwurfstext unter anderem vor, daß Betreiber 40.000 Dollar Startkapital besitzen müssen, um eine Lizenz zu erhalten. Ein anderer Passus besagt, daß alle fremdsprachigen Beiträge auch ins Albanische übersetzt werden müssen. „Sollen wir etwa für jeden englischen Song die Übersetzung gleich mitliefern?“ fragt Anila.

Geldprobleme und Gesetzeswirrwarr sind eins, aufgebrachte Hörer etwas anderes. „Und davor haben wir am meisten Angst, daß wir irgend jemanden gegen uns aufbringen“, sagt Enno, „die Polizei hilft hier niemandem.“ Gefährlich wurde es für Radio Ime vor einigen Wochen. Da meldete sich ein 13jähriges Mädchen aus einem Waisenhaus. Sie sei dort von dem Mitarbeiter einer schweizerischen Hilfsorganisation vergewaltigt worden und wolle darüber berichten. Enno recherchierte. Die Leitung des Waisenhauses wußte von nichts, der Beschuldigte ebenfalls nicht. Der Beitrag wurde gebracht. Wenige Tage später klopfte Enno jemand in einem Café auf die Schulter. Er solle endlich aufhören, solche Schweinereien zu senden. Das alles seien doch Lügen, und die Hilfsorganisationen würden sich sonst zurückziehen. „Und vergiß nicht“, fügte der Mann hinzu: „Hier haben alle Waffen.“ Barbara Oertel

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