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Der Spekulant – Vampir oder Philanthrop?

■ Darf man eigentlich als halbwegs links fühlender Mensch Aktien erwerben?

Ist nicht der Spekulant ein Vampir, der die arbeitenden Massen aussaugt? Daß die Gewinne der Spekulanten mit den Verlusten anderer erkauft sind, scheint sich in den letzten Jahren bestätigt zu haben: Da sind zumindest hierzulande die Aktienkurse in dem Takt gestiegen, in dem Arbeitsplätze vernichtet wurden, denn Rationalisierung schien der Königsweg zu höheren Gewinnen zu sein.

„Die Börse ist nicht gut oder böse“, wendet Max Deml, Herausgeber des Anlageberaters Öko-Invest, ein. Die Börse hat einen rationalen Zweck, nämlich investitionswillige Firmen und Kapitalbesitzer zusammenzubringen. Den Zweck müsse man eben im Einzelfall unter die Lupe nehmen. Ein Beispiel, wo Aktionäre durchaus Gutes tun konnten, ist die norwegische Aktiengesellschaft Tomra Systems, die Rücknahmeautomaten für Pfandflaschen herstellt. Die Firma konnte mit dem Geld der Anleger Leute einstellen, Supermärkte verloren dank der neuen Maschinen ihre Vorbehalte gegen Mehrwegflaschen – und die Aktionäre steckten innerhalb von drei Jahren 1.600 Prozent Gewinn ein. Vor allem in den USA nutzen Jungunternehmer die Börse, um ihr Geschäft auf die Beine zu bringen – allein in den 90er Jahren gaben dort 3.000 neue Firmen Aktien aus. Das amerikanische Jobwunder ist undenkbar ohne die Börse.

Aber wie steht es nun mit den Aktien der großen Konzerne? Darf man guten Gewissens zu Papieren beispielsweise des Rüstungs- und Atomkonzerns Siemens greifen? Ein gutes Werk tut man damit nicht, aber man richtet auch wenig Schaden an. Denn das Geld streicht der vorherige Besitzer der Aktie ein, und Siemens schaut in die Röhre – sofern es sich nicht um neue Aktien handelt, die der Konzern direkt verkauft.

Die Börse ist eben kein Nullsummenspiel. Gewinne, die einer aus Aktien zieht, sind nicht zugleich die Verluste eines anderen. Sie sind vielmehr Gewinne, die der vorherige Besitzer nicht gemacht hat, weil er zu früh verkauft hat.

Allerdings nutzen hohe Aktienkurse, wenn schon nicht direkt, so doch indirekt den Unternehmen, allein schon, weil hohe Preise feindliche Übernahmen erschweren. Und wenn die Firma neues Kapital braucht und dafür neue Aktien schafft, streicht sie um so mehr Geld ein, je höher der Kurs ist. Wer politically correct spekulieren möchte, rät Heinz-Josef Evertz von der Ökobank, lasse also die Hände von den Papieren ethisch und ökologisch nicht akzeptabler Unternehmen. Wenn alle Anleger diesem Beispiel folgten, hätten Firmen mit Dreck am Stecken auf dem Kapitalmarkt auf einmal einen echten Wettbewerbsnachteil.

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