Da wo der Karpfen schwänzelt

■ Sommerliches Ausflugsziel „Vor- und Hinterwerder“: Wo sich Kormorane die Flügel trocknen, die Weser über dreißig Fischarten führt und seltene Seevögel Ferien machen, seit dort der Weserdeich durchbrochen wurde

laus Hanke ist ein ernsthafter Mann. Aber angesichts einer Uferseeschwalbe verliert der Wissenschaftler die Haltung. „Eine Uferseeschwalbe, eine Uferseeschwalbe“, freut sich der Mann von der Landesökologischen Forschunganstalt und hüpft vor seinem Fernrohr. Direkt vor Bremens Skyline, neben dem Ochtumsperrwerk, entsteht, nach einem Durchbruch des Weserdeiches, das Tide-Biotop „Vor- und Hinterwerder“. Ein stadtnaher Ort zum Entspannen. Ein Naturerlebnis live – besser als Fernsehen. Auch wenn gegenüber das Bremer Stahlwerk brodelt und den offenen Blick auf die Nordsee verstellt.

SpaziergängerInnen flanieren und SkaterInnen juchten ungestört über den Deich. Menschen, die sich an der Natur freuen, kommen aus dem Staunen nicht heraus. Einen Eindruck vom Weltuntergang bekommt man außerdem im Panoramaformat. Dann nämlich, wenn das Stahlwerk gegenüber absticht. Eine schweflig-schmutzige Staub- und Rauchwolke schießt in den blauen Himmel.

Lassen wir uns lieber von der atemberaubend durch die Luft kurvenden Uferseeschwalbe ablenken. Bremen ist ein wichtiges Brutgebiet dieser stark gefährdeten Vögel. In der Regel betten sie ihr Nest in das Kiesbett am Flußrand. Diese Bereiche sind an der Weser zerstört. Die Seeschwalben haben sich im Hafen alternative Wohnplätze gesucht, auf unzugänglichen Dächern von Bunkern.

Zehn Kormorane trocknen sich in „Was-weiß-ich-Stellung“die angewinkelt hochgezogenen Flügel. „Das Fischangebot für sie ist reichlich“, erklärt Klaus Hanke, der bei der Landesökologischen Forschungsanstalt Bremen für die Tierbeobachtung zuständig ist. Fischer in Holstein und Süddeutschland würden Kormorane als Konkurrenten liebend gerne abschießen. „Vielleicht“, wünscht sich Klaus Hanke, „vielleicht brüten sie hier ja bald.“An der Weser vergrätzt ihnen niemand ihre Fischmahlzeit.

Trotz Industrie und Hafendreck führt die Weser über dreißig Fischarten. Der Stint ist der typische Weserfisch. Zu Laichzeiten sieht man viele Karpfen durch die Tümpel des Biotopes schawenzeln. Hechte zieht der Angler aus dem Wasser und zu seiner Überraschung gibt es Schollen. Bei Ebbe wippen sich die Meerestiere durch die Weser bis in die überflutete Marsch hinein. Das Biotop ist nicht mit Süßwasser vernässt sondern mit einer leichten Brake. Da heißt, neben dem industriellen Salzeintrag ist das Weserwasser mit Meerwasser vermischt. Mit dem Meerwasser verirren sich auch Seehunde immer öfter nach Bremen.

Mit der besseren Wasserqualität erwarten die Experten eine Wiederansiedlung des Störes. Der letzte Bremer Stör wurde in den dreißiger Jahren aus der Weser gefischt. Tatsächlich war der Stör ein überaus beliebter Speisefisch der ärmeren Bevölkerung.

Die Nähe zur Küste und der wattartige Schlickrand locken viele Seevögel nach Bremen. Austernfischer und Uferläufer machen in Bremen Ferien. Bei Sturm an der Küste suchen sogar große Schwärme am Weserufer Schutz. Zu ihnen gesellen sich Arten aus den anliegenden Feuchtwiesen. Reiher stelzen zaghaft durch die Tümpel, als hätten sie Angst, sich die Füße naß zu machen. Kiebitzschwärme jagen keifend durch die Luft.

Vom Deich aus hat man gute Beobachtungsposition. Es passiert immer etwas am Ufer. Halsdürr schiebt sich der Haubentaucher durchs Wasser, ist plötzlich verschwunden und platscht an einer völlig anderen Stelle wieder an die Oberfläche.

Um die Tümpel versteckt sich scheinheilig der Gifthahnenfuß. Ein lieblich gelbblühendes Kraut. Finger weg! Das Zeug heißt nicht umsonst so. Beinwell dagegen ist seit dem Mittelalter als Rundumheilmittel berühmt. Auch das unscheinbare, seltene Moorgreiskraut hat sich angesiedelt.

Noch in diesem Jahr wird die Butenseite des Deiches geflutet. Dann entsteht zusätzlich eine 40 ha große Wasserfläche. Es wird eine artenreiche Auenlandschaft mit Weiden und Sträuchern von herausragender ökologischer Qualität heranwachsen. Das hat auch Daimler Benz erkannt. Bremens größter Arbeitgeber fördert zusammen mit der Stiftung Europäisches Naturerbe das Vernässungsprogramm.

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Zum Ochtum-Sperrwerk geht es über Woltmershausen, Seehausen immer an der Weser lang. Ab Sperrwerk kann man über den Deich laufen.