: Stille Ausleihe in der Staatsbibliothek
■ Die Stabi macht die Benutzerabteilung montags für fünf Stunden dicht. Das soll Kosten sparen, schränkt aber die Leihmöglichkeiten ein. Benutzer protestieren
Beklemmende Stille soll bei der Personalversammlung am 17. Juni unter den Beschäftigten der Staatsbibliothek zu Berlin geherrscht haben. Günter Baron, ständiger Vertreter des Generaldirektors der Staatsbibliothek, hatte als letztes Mittel gegen die Mittelknappheit reduzierte Öffungszeiten bekanntgegeben. Die Maßnahme, so hieß es, solle auf die zweite Jahreshälfte 1997 beschränkt bleiben.
Als vorerst letzte Sparmaßnahme gilt diese Streichung eines halben Arbeitstags: Sie solle es dem Personal ermöglichen, den Überhang an Magazin- und Bereitstellungsarbeiten zu verrichten, lautet die offizielle Begründung der Bibliotheksleitung. Nach der neuesten Sparmaßnahme können die Bibliotheksbenutzer zwar noch recherchieren, bibliographieren oder Katalogauskünfte einholen; bestellte Bücher stehen künftig aber erst am folgenden Tag zur Verfügung.
Die jetzt gegründete „Benutzerinitiative Staatsbibliothek“ ist empört. Wen interessiere, daß wegen Personalmangels im Nutzungsbereich – also in den Lesesälen und den Magazinen – die zwei Häuser der wichtigsten wissenschaftlichen Bibliothek Berlins fünf Stunden länger geschlossen blieben, fragt die Initiative. Sie zweifelt daran, daß die Maßnahme eine „vorübergehende Notlösung“ sei. Bislang sei noch jede Notlösung in der Staatsbibliothek zur Gewohnheit geworden.
Diesem deutlich verschlechterten Service für die Benutzer der Bibliothek waren „stille“ Einschränkungen vorangegangen: Seit Juni 1996 müssen Buchbestellungen bis 15 Uhr (vorher 18 Uhr) aufgegeben sein, wenn man noch am selben Tag die Bücher im Lesesaal einsehen will. „Arbeiten in der Staatsbibliothek werden jetzt längerfristige Projekte“, beklagen die Vertreter der Benutzerinitiative.
In der Potsdamer Straße werden täglich rund 2.000 Bücher zur Ausleihe bestellt. Jährlich werden bis zu drei Millionen Vorgänge von den Bibliothekaren bearbeitet. Zudem muß die Stabi seit längerem Aufgaben der gleichfalls durch Sparmaßnahmen blockierten Unibibliotheken übernehmen. Bei der Eröffnung vor 20 Jahren hatte Haus 2 in der Potsdamer Straße 200.000 Benutzer, heute müßten zehnmal so viele verkraftet werden. Die Situation in den beiden Häusern der Staatsbibliothek, so die Benutzerinitiative, kollabiere zunehmend. Bis zu 20 Minuten dauere heute eine Buchbestellung – um dann festzustellen zu müssen, daß „ein Buch beim Buchbinder, ein zweites vermißt, und der Rest schon verliehen“ sei, so die Kritik. Für die Initiatoren stellt sich die Frage nach der Reformbedürftigkeit des Systems: Die Computerisierung der Buchbestände bleibe ein Traum.
Was die Leitung der Bibliothek als Hilferuf ansehe, verhalle ungehört. Mit Staatsakten würden derweil in London und Paris neue Nationalbibliotheken eröffnet, während die Staatsbibliothek einer „dunklen Zukunft“ entgegensteuere. Barthold Pelzer, Karen König
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen