: „Scientology greift die Demokratie an“
■ Im taz-Interview begrüßt der ranghöchste Aussteiger Beobachtung durch Hamburger Verfassungsschutz
Der Verfassungsschutz hat damit begonnen, die Aktiviäten der Hamburger Zentrale der US-Sekte „Scientology“nachrichtendienstlich zu überwachen. Das bestätigte der Leiter des Hamburger Amtes für Verfassungsschutz, Reinhard Wagner. Dabei sollen möglicherweise auch nachrichtendienstliche Mittel gegen die Scientologen eingesetzt werden. Der Weg sei auch für die Einschleusung von V-Leuten frei, erklärte Wagner gegenüber der Welt am Sonntag. Zunächst nicht zum Einsatz kämen dagegen „Telefonüberwachungen“, da deren Zulässigkeit an besondere gesetzliche Vorgaben gebunden sei. Eine Beobachtung von Unternehmen, die verdächtig sind, die Sekte zu unterstützen oder deren Methoden anzuwenden, schließt Wagner ebenfalls nicht aus. Über die „Church“sprach die taz hamburg mit Buchautor Gunther Träger, dem bislang ranghöchsten Sektenaussteiger in Deutschland.
taz: Ist die Überwachung von Scientology durch den Verfassungsschutz der richtige Weg, die Sekte zu bekämpfen?
Gunther Träger: Das ist in meinen Augen eine absolut logische Entwicklung. Scientology hat mit dem Weltherrschaftsanspruch einen direkten Angriff auf die Demokratie gestartet und ist eine totalitäre Organisation. Das ist auch wissenschaftlich in hinreichendem Maß nachgewiesen worden.
Können Sie da Beispiele aus Ihrer aktiven Zeit in Hamburg geben, als Sie bis in die fünfköpfige Führungsgruppe, das „New Civilisa–tion Org Board“aufstiegen?
Der Basisansatz unserer Strategien war, Scientology in Deutschland einen positiven Imagewert zu geben. In der Bevölkerung sollte eine hohe Akzeptanz erreicht werden, um dann die politische Macht übernehmen zu kömnnen.
In Hamburg hat es nach Ihren Berichten einen konkreten Versuch gegeben, die SPD um die Macht zu bringen.
Es gab Gerüchte, Voscherau habe sich persönlich am damals geplanten Verkauf der Speicherstadt bereichern wollen. Für das Intrigenspiel um den Bürgermeistersessel sollte der CDU-Kandidat Hartmut Perschau gewonnen werden. Perschau hat sich aber nicht einspannen lassen.
Was versprach sich Scientology von einem Machtwechsel?
Es ging darum, anschließend in Ruhe arbeiten zu können. Die Überlegung war: Wenn Henning Voscherau nicht mehr Bürgermeister ist, dann wird auch die Scientology-Beauftragte Ursula Caberta ihre Aufgabe nicht mehr wahrnehmen können.
Wer das klägliche Scheitern dieses „Putsches“betrachtet, kann den von Ihnen beschriebenen Weltherrschaftsanspruch doch problemlos unter der Kategorie „Hirngespinste“verbuchen.
Nein. Man muß nur einmal betrachten, wie sehr sich die Einstellung der US-Regierung zu Scientology seit 1991 zum Positiven verändert hat. Was dort machbar ist, kann auch in Hamburg und Deutschland funktionieren.
Wie stark ist die Hamburger Organisationseinheit heute?
Aufgrund der intensiven Berichterstattung in den Medien ist sie von den Erfolgen zu Anfang der 90er Jahre sehr weit entfernt.
Sie gelten als ranghöchster Scientology-Funktionär, der den Absprung geschafft hat. Welche Tips können Sie ausstiegswilligen Sektenmitgliedern geben?
Niemand sollte sich durch irgendwelche Angst verursachenden Aktivitäten vom Ausstieg abhalten lassen. In allen totalitären Organisationen wird mit dem Faktor Angst operiert. Da wird gesagt: ,Wenn du abhaust, wird es dir schlecht gehen'. Wichtig ist auch, daß ausstiegswillige Scientologen überhaupt nich wissen, daß das Netz unseres Sozialstaates sie erst einmal auffangen wird, daß es Sozialhilfe, Mietbeihilfen und Umschulungsmaßnahmen gibt. Wer in einem völlig anderen Gedankengebäude zu Hause ist, dem wird die Sicht auf solche selbstverständlichen Dinge verstellt.
Fragen: Volker Stahl
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