piwik no script img

■ Auch gestern brachen an der Oder weitere Deichabschnitte. 12.000 Helfer sind Tag und Nacht im Einsatz. Während im Katastrophengebiet für die einen die Welt untergeht, haben andere "irgendwie Spaß". Aus Wiesenau Constanze v. BullionEin Ac

Ein Actionfilm am Wall

Sie hängen schon wieder über der Reling. Vorne am Bug angelt Polizeimeister Jenn nach dem gelben Schild der Bushaltestelle, das noch ein Paar Zentimeter aus dem Wasser schaut. Hinten am Heck fischt Polizeiobermeister Kluge im Trüben. Irgendwas hat sich in der Schiffsschraube verheddert. Kein Wunder eigentlich. Zwischen den Dächern der überfluteten Ziltendorfer Niederung ist einiges unterwegs. Autoreifen dümpeln durch die Alleen, und Holzbalken, auf denen sich die Käfer drängeln. Gartenzwerge trudeln vorbei und jede Menge Plastiktonnen. Zwei Raubvögel ziehen ihre Kreise über den versunkenen Gehöften, fast idyllisch ist es hier draußen auf dem See. Wenn da nicht dieser Gestank wäre.

In allen Regenbogenfarben schillert die Suppe, in der am Wochenende das Dorf Aurith ersoffen ist. In der die Ernst- Thälmann-Siedlung unterging. Und die sich bis in die Wohnzimmer von Wiesenau schiebt. Inzwischen wurde ein weiteres Stück Oderdeich überspült, in Frankfurt stieg der Pegel auf Rekordhöhe. Und im Hinterland stinkt es immer mehr.

„Heizöl“, sagt Polizeiobermeister Kluge und läßt den Motor der „MZB Nr. 1“ aufheulen. Seit Tagen pflügen die BGS-Beamten mit dem Schnellboot durch die Maisfelder, kreuzen zwischen zurückgelassenen Lastwagen, durch Schaumkronen von aufgelöstem Kunstdünger. Die emsigen Herren mit dem blauen Boot suchen den Horizont nach Plünderern ab. Polen will man gesehen haben in der überfluteten Senke südlich von Frankfurt. Sicher sind die Beamten, daß es hier noch viel zu holen gibt. „Stereoanlagen und der ganze Schickimicki“, sagt Polizeimeister Jenn, „das Zeug ist doch alles noch nicht weg.“

Weg sind dafür die Menschen. Tausende verließen in den letzten Tagen ihre Häuser an der Oder, evakuiert wurde auch im nördlichen Oderbruch. 12.000 Helfer sind im Einsatz, Bundeswehr, Technisches Hilfwerk und Polizei lassen die Muskeln spielen. Und während man Tag und Nacht an den Deichen schaufelt, um die ganz große Katastrophe zu verhindern, spielt sich am Rand der Fluten das kleine, das ganz private Drama ab.

„Zum Heulen ist das“, sagt Gerhard Schmidt und wirft das Bettzeug auf den Anhänger hinter seinem Trecker, „das ganze Leben hat man umsonst gearbeitet.“ Ein paar Möbel, die Kreissäge, den Fernseher hat die Familie aus Wiesenau zwischen ihre Habseligkeiten gepackt, auf dem Hof steht das Wasser bereits hüfthoch. „Der Hafer auf dem Feld, der Garten, die Werkstatt, alles ist abgesoffen“, sagt Schmidt und geht ins Haus noch das Radio holen. 50.000 Mark hat er in die Modernisierung des Hofs gesteckt, ob die Versicherung bezahlen wird, das bezweifelt der Bauer.

„Was gut ist, nehme ich mit, das alte Gelumpe bleibt hier“, sagt drinnen im Schlafzimmer Elfriede Schmidt und schiebt die Schranktür zu. Zum Gelumpe gehören die Unterhemden im Wäschefach, die Einweckgläser auf dem Küchenboden und der Gummibaum im Wohnzimmer.

Richtig sauer ist man hier auf die Einsatzleitung bei der Evakuierung. „Erst wurden wir weggeschickt, dann kam kein Wasser, und jetzt haben die uns einfach aufgegeben“, sagt Sohn Michael. „Total planlos“ habe der Einsatzstab gearbeitet, meint der junge Mann, der mit Holzscheiten den Öltank sichert. Damit er nicht reißt wie ein paar Häuser weiter.

Wer schuld ist an der versauten Umwelt, an den toten Wildtieren im Wasser, an Schäden in Millionenhöhe, wird heftig diskutiert auf dem Markplatz von Wiesenau. Zu früh habe man die Leute weggeschickt. Als nichts kam, sei man zurückgekommen. Und mußte schließlich alles stehen und liegen lassen, als die Oder doch noch durchdrückte. „Die Leute vom Amt, die großkotzigen Einsatzkräfte, die Politiker“, Egon Dähne würde sie „am liebsten aufknüpfen“.

Zehn Pferde und elf Hunde hat der Lagerist noch aus der benachbarten Ernst-Thälmann-Siedlung herbringen können. „20 Kilo Handgepäck mußten wir packen in einer Stunde“, erzählt der Hausbesitzer, dessen Hof schon vor Tagen überspült wurde. Die Familie und die Trümmer seiner Existenz hat er jetzt bei „Billiggetränke Wiesenau“ zwischengelagert. Ein paar Matratzen, Tüten mit Klamotten, die wichtigsten Papiere liegen zwischen aufgestapelten Mineralwasserkisten in der Halle, eben hat die Feuerwehr ein paar Bockwürste vorbeigebracht. Doch die können die trübe Stimmung auch nicht mehr heben.

„Diese Schweinerei“, flucht Dähne, „da werden den anderen Möbelwagen zur Verfügung gestellt und für uns bleibt keine Zeit zum Packen.“ Neidisch sind manche hier klammheimlich, eifersüchtig auf den Nachbarn, dessen Haus ein paar Zentimeter höher liegt. Und wütend auf das nächste Dorf, die Stadt, die trocken geblieben ist. „Wir waren auf dem Deich und haben geschippt“, erzählt Dähne, „die Frauen haben Sandsäcke gefüllt zu Hause. Den Arsch haben wir uns aufgerissen für die anderen. Und dann haben sie uns verkauft.“

Verraten fühlt man sich im Ziltendorfer Becken, seit der Krisenstab in Potsdam bekanntgab: Die Niederung hinter dem geborstenen Deich wird „aufgegeben“. Mißmutig beobachtete man, wie die Helferkolonnen nach Norden rollten. Im Oderbruch, wo die Deiche rutschen, aber bisher noch nicht brechen, gibt es noch Siege zu erringen, die die Bundeswehr medienfreundlich zu präsentieren weiß. „170 Kilometer aufgeschichteter Pudding“, so nennt ein Sprecher des Krisenstabes den Wall, an dem seit Samstag ein Actionfilm der besonderen Art abläuft.

Vor Hohenwutzen knattern Hubschrauber über der Oder, die hier dunkel und verdammt schnell vorbeizieht. Alle paar Minuten fliegt eine große, dunkelgrüne „Wespe“ den Kinderspielplatz hinterm Deich an, Stahlhelme beugen sich aus den Luken, Netze voller Sandsäcke schweben davon. Über 800 Bundeswehrsoldaten stapeln hier Fichtenstämme, Erde und Kies Tag und Nacht gegen den Damm. In ihrem Rücken, bei den sogenannten Schlafdeichen, wird eine „zweite Verteidigungslinie“ aufgebaut.

Es herrscht Krieg an der Oder, von „Fronten“ ist da die Rede und von „Kameraden“, vom „Feind“, und der heißt Wasser. Martialisches Gerät rollt mit Blaulicht durch die Dörfer. Den Lastwagen, den Unimogs, sogar Schützenpanzern gehört die Straße. „Hier hat eindeutig das Militär das Sagen“, weiß Stabsunteroffizier Reuter von den Feldjägern. 6.000 Soldaten sind insgesamt unterwegs, den bislang größten Einsatz der Bundeswehr findet der 22jährige „bombastisch“.

Auch wenn er selbst nur verhindern darf, daß die verschiedenen Hilfstruppen sich gegenseitig die Straße versperren. Jede Menge Wichtigtuer sind hier unterwegs, Passierscheine werden an jeder Ecke verlangt. Wer wen zu kommandieren hat, sieht jeder ein kleines bißchen anders. Eines aber wollen sie hier alle: ganz nach vorne. An die Front sozusagen, wo starke Arme zählen. Ein „dummes Gefühl“ ist es deshalb für Feldjäger Reuter, „daß die Kameraden vorne am arbeiten sind und wir stehen hier rum“. Wer sitzt schon gern in der Etappe. Dann doch lieber marschieren wie die „Lanzer“ in Gummistiefeln, die gerade ein riesiger Mannschaftshubschrauber ausgespuckt hat.

Gutgelaunte Milchgesichter rücken vor. Seit drei Wochen sind diese Rekruten aus Mecklenburg im Dienst. „Wo sind wir denn hier“, fragt einer, als er ankommt am Deich. „Ich hab' Hunger“, sagt ein anderer und packt seinen olivgrünen Blechnapf aus. Die Jungs können es kaum erwarten bis zum Einsatz. „Ich gehe davon aus, daß die Aktion das einzig Sinnnvolle während unserer Grundausbildung ist“, meint einer, und nimmt einen Schlag Kartoffelbrei aus einem tarngefärbten Metallbottich.

Ein paar Meter weiter läßt sich ein abgekämpfter Trupp in den Mannschaftsbus fallen. Nach zehn Stunden Schaufeln gibt es die erste Entwarnung. Der Damm hält – vorerst zumindest. Stolz? „Schon büschen, klar“, meint der Gefreite Irmer. „Schiß“ hat er gehabt unterm Deich, „daß das Ding runterkommt“. Aber das sei eben „genauso wie an der Front: „Angst, schon, aber auch ein gutes Gefühl.“ An der Front war der kurzgeschorene Jüngling zwar noch nie, aber daß an der Oder auch ums Image der Soldaten gekämpft wird, das hat er verstanden. Vielleicht, meint er noch, „wird ja hier der Ruf der Bundeswehr wieder repariert“.

Siegerstimmung im Norden. Katzenjammer im Süden. Am Rand der Brühe in der Ziltendorfer Niederung, zwischen Rettungsschwimmern aus Sachsen-Anhalt und Hochwassertouristen mit gezückten Kameras, steht Hans-Jürgen Erdmann. Er ist, besser gesagt, er war Chef der Freiwiligen Feuerwehr in Aurith. Daß man nichts ausrichten konnte gegen die Naturgewalten in seinem Dorf, liegt für ihn am „Dilettantismus und an der katastrophaler Führung des Einsatzstabes“. Der Mann, dem die Anglerhose bis unter die Achseln reicht, will Minister „abtreten“ sehen. Denn er ist sicher: „Mit vernünftiger technischer Ausstattung und Bundeswehr rund um die Uhr hätte man verhindern können, daß die Leute ihr gesamtes Hab und Gut verlieren.“

Draußen auf dem Wasser, zwischen den Höfen und zurückgelassen Treckern, schippern noch immer Polizeiobermeister Kluge und Polizeimeister Jenn. Plünderer haben sie keine aufgetrieben, keine deutschen, und polnische auch nicht. Wie lange die munteren Herren noch durch die Alleen tuckern werden, weiß keiner. Auch nicht, was es kosten wird, hier aufzuräumen. Tragisch sei das alles, nicken die beiden. Auch wenn das alles „irgendwie schon Spaß“ macht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen