: Verführung in Kürbiskutschen
■ „Artige Zeiten“: Comics von den Hamburgern Andreas Michalke und Minou Zaribaf
Erkennen Sie die Physiognomie? Die kleine Piepsmaus lebt in einer Hütte im dunklen Wald, weltabgeschieden, glücklich mit Kochen und Hausarbeit. Abends steckt sie das Mauseköpfchen in dicke Bücher – „am liebsten solche über postmoderne Kulturtheorie und feministische Filmkritik“. Oder läßt sich von ihrem Freund, dem „nicht besonders intelligenten“, aber schick tätowierten Fuchs Johnny mal so richtig durchrammeln. Bis Johnny eines Tages einer verführerischen Katzenprinzessin in einer Kürbiskutsche begegnet, die verspricht, ihn zum Star zu machen. Charakterlos, wie tätowierte Füchse so sind, folgt er der Schönen auf ihr Schloß. Piepsmaus bleibt traurig zurück – doch bald wird sie sich mitleidlos revanchieren...
Ein Rock–n–Roll-Comic-Märchen, erzählt von Andreas Michalke. In seinem neuen Artige Zeiten-Heft brilliert Michalke als Funny-Animal-Zeichner, als habe er sein Leben lang nichts anderes getan: feste, fleischige Figuren mit lebendiger Mimik, dabei erstaunlich individuell konturiert; eine witzige Dramaturgie, welche die Ausdrucks- und Wandlungsfähigkeiten der menschlichen Tiere geschickt in Szene setzt.
Noch gar nicht so lange her, daß Michalke als Zeichner „autobiographischer“Comics reüssierte, in denen persönliche Erlebnisse heftbestimmende Themen waren. Schon bei der Nabelbeschau zeigte er Witz und vor allem zeichnerische Qualitäten. Doch wie man weiß: Bei simpler Selbstbespiegelung sind die künstlerischen Entwicklungsmöglichkeiten beschränkt. So ist die Wende, die Michalke in den letzten beiden Ausgaben seines Artige Zeiten-Hefts vollzogen hat zu vergleichsweise klassischen, aber schlau ironisierten Comic-Motiven, auch der Umweg um eine Sackgasse, in die sich manch anderer Zeichner schon schnöde verrannt hat.
Vor allem aber erntet er nun die Früchte fleißig verfeinerten Handwerks, und das, obwohl, wie er gerne betont, ihm der Rock–n–Roll eigentlich viel wichtiger als das Comic-Zeichnen ist. Deswegen gibt es pro Jahr weiterhin zwar nie weniger, aber auf keinen Fall mehr als eine Ausgabe aus der Artige Zeiten-Serie, die er gemeinsam mit Minou Zaribaf herausgibt.
Zaribaf, die pro Heft mit ein bis zwei Geschichten beteiligt ist, hat sich, anders als Michalke, noch nie in nennenswertem Umfang an „eigenen“Erlebnissen abgearbeitet. In strengem, holzschnittähnlichem Stil erzählt sie meist dunkle, meist mit merkwürdigen Frauen befaßte Geschichten, die in vielem an die große Penny Moran Van Horn erinnern. Diesmal adaptiert sie ein persisches Märchen, das zum Lobpreis der Farbe Schwarz gedichtet wurde.
Leider verblaßt ihre auf den ersten Blick eher statische Ästhetik unverhältnismäßig neben den temporeichen Bildern Michalkes, zumal in dessen Händen auch Cover und Gestaltung der Hefte liegen. Darum würde man sich einmal ein eigenes Heft von ihr wünschen; die Dynamik einer längeren Geschichte hätte sie sicher im Griff.
Doch auch von Zaribaf hört man nur Verachtung für die armen Gestalten, die sich über dem Zeichentisch rummsitzen, statt das pralle Leben zu genießen. „Comics zeichnen meist Leute, die kein Leben haben“, wie sie in dem Zweiseiter „Desolate Zeiten“befindet – da will sie mitnichten dazugehören. Korrekte Einstellung, schade für ihre Leser. Jens Balzer
Artige Zeiten Nr. 7, Berlin 1997, Reprodukt, 8 Mark
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