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Patagoniens letzte Picture-Show

■ Neu im Kino: „Sin Querer – Zeit der Flamingos“

Ausgerechnet durch ein Schiff soll das Wüstenkaff San Lorenzo im staubig-trockenen Patagonien aus dem Dornröschenschlaf geweckt werden. Wie bei Herzogs „Fitzcarraldo“wird ein riesiger Dampfer über die lateinamerikanische Erde geschleppt – diesmal allerdings mit modernster Technik. Und weil für diesen Überlandtransport eine solide Straße nach San Lorenzo gebaut werden muß, hofft das ganze Dorf auf bessere Zeiten. Der junge Ingenieur Mario vermißt als erster Kundschafter des Fortschritts den Verlauf dieser Trasse, und er wirkt wie ein Katalysator für die Sehnsüchte, Hoffnungen und Begierden der Dorfbewohner.

Der argentinische Regisseur Ciro Cappellari nutzt hier einen der wirksamsten dramaturgischen Kunstgriffe: Ein Fremder stößt auf eine in sich geschlossene Gemeinschaft, und wir lernen mit ihm gemeinsam langsam die einzelnen Personen und ihre Geheimnisse kennen. Und wie immer stellt sich dabei heraus, daß es auch am äußersten Rande der Welt um die Menschen nicht viel anders bestellt ist als in jedem gesellschaftlichen Mikrokosmos. So sind die kleinen persöhnlichen Dramen, die Mario eher beobachtet als auslöst, von Cappellari zwar schön und einfühlsam arrangiert, aber doch sehr vorhersehbar: Der mächtigste Mann des Ortes ist natürlich auch der gierigste und hat eine Leiche in der Wüste (Keller gibt es in San Lorenzo nicht) oder die schöne Ladenbesitzerin hat über dem Haß auf ihren alten, auf Krücken humpelnden Gatten fast das Lieben verlernt.

Aber seltsamerweise ist man kaum enttäuscht von diesen konventionellen Erzählsträngen, denn Cappellari ist so klug, eher beiläufig und ohne melodramatische Tricks zu erzählen. Er verbrachte seine Kindheit und Jugend in dem patagonischen Dorf Jacobacci, in das er nun zurückkehrte, um dort diesen Film zu drehen. Und so trifft er genau die halb melancholische, halb öde Stimmung des Ortes.

So einfühlsam hat bisher nur Peter Bogdanovich in „The Last Picture Show“das monotone Leben in einer Wüstenei beschrieben. Die Dorfbewohner haben kaum einen Blick für die poetische Schönheit der Landschaft oder die vorbeiziehenden Flamingoschwärme übrig, und indem er diese Diskrepanz deutlich macht, bewahrt Cappellari auch den Zuschauer davor, diese Landschaft zu romantisieren.

Fast alle Bewohner des Dorfes wirken seltsam unbehaust. Nur die wenigen Indianer sind wirklich eins mit sich und der Landschaft. Wie gerade sie von den anderen extrem verächtlich behandelt und übervorteilt werden, zeigt Cappellari so wütend und kompromißlos, daß man diese Geschichte schnell als jene erkennt, die Cappellari den wichtigsten Impuls zu diesem Film gab. Und das Gesicht der wie eine Laienschauspielerin wirkenden Mapuche-Indianerin Luisa Calcumil geht einem viel länger nicht aus dem Sinn als die makellose Leistung von Angela Molina, einem Star des lateinamerikanischen Kinos. Wilfried Hippen

Cinema täglich 19 Uhr

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