: Menschenrechte sind unteilbar
■ betr.: „Eine Extremistin als Un schuldslamm“ (Die Menschen rechtsorganisation amnesty inter national ergreift Partei für eine ru andische Politikerin, die zu den höchstrangigen Mitorganisatoren des Völkermords von 1994 ge hört), taz vom 25.7. 97
Zunächst möchte ich das Allerwichtigste klarstellen: Wenn wir uns mit einer Eilaktion für die Menschenrechte einer Person einsetzen, die man hat „verschwinden“ lassen und die von Folter oder der willkürlichen Hinrichtung bedroht ist, dann ergreifen wir natürlich nicht Partei für die Überzeugungen und Handlungen dieser Person. Es ist uns durchaus bewußt, daß unter den Menschen, für deren Rechte wir uns einsetzen, auch, wie Dominic Johnson schreibt, „dubiose Figuren“ sein können. Wir identifizieren uns aber keinesfalls mit deren Taten: Das einzige, vor dem wir diese Menschen durch unsere Aktion „in Schutz“ zu nehmen versuchen, ist die Verletzung ihrer Menschenrechte. Und die bestehen auch für „dubiose Figuren“ unter anderem darin, sich gegen Anschuldigungen in einem fairen Prozeß verteidigen zu können und nicht einfach „verschwunden“ gemacht oder gefoltert zu werden. Das Leben jedes Menschen ist unantastbar. Auch in unserer Arbeit gegen die Todesstrafe wenden wir uns in allen Fällen gegen diese unmenschliche Strafe – egal, welche Verbrechen den Verurteilten zur Last gelegt werden.
Leider hat ai in der zitierten Eilaktion für Agnès Ntamabyaliro Rutagwera nicht erwähnt, daß ihr Name auf der von der ruandischen Regierung erstellten Liste der knapp 2.000 Verdächtigen steht, die maßgeblich am Völkermord von 1994 beteiligt gewesen sein sollen. Wohlgemerkt: beteiligt gewesen sein sollen. Denn diese Liste kann allenfalls Grundlage für die Ausstellung eines Haftbefehls sein, dem dann ein fairer Prozeß für die Beschuldigten folgen muß – eine Vorverurteilung allein aufgrund dieser Liste, deren durchgehende Zuverlässigkeit keinesfalls als sicher gelten kann, darf nicht sein. Wenn Dominic Johnson also Agnès Ntamabyaliro Rutagwera als eine Politikerin beschreibt, „die zu den höchstrangigen Mitorganisatoren des Völkermords von 1994 gehört“, stellt sich die Frage, auf welche Belege er sich stützt.
Für ai bleibt es dabei: Agnès Ntamabyaliro Rutagwera ist mutmaßlich am Völkermord beteiligt gewesen. Das muß ein faires Gerichtsverfahren in Ruanda oder vor dem Kriegsverbrechertribunal in Tansania klären. Vorverurteilungen nähren nur weiter den Haß zwischen den Bevölkerungsgruppen in einer durch den Völkermord von 1994 traumatisierten Gesellschaft. Auch als Beschuldigte geht Agnès Ntamabyaliro Rutagwera ihrer Menschenrechte nicht verlustig. Darauf zu dringen, heißt nicht, die Partei einer möglichen Völkermörderin zu ergreifen. Insofern ist die Unterzeile des taz- Artikels falsch.
Schließlich möchte ich zu dem Vorwurf, ai unterstütze im Namen der Verteidigung politischer Gefangener hartnäckig Anhänger der Ideologie, die 1994 in Ruanda zum Völkermord geführt hat, klarstellen: Wir haben in diesem Jahr 46 Eilaktionen zu Menschen gestartet, die im Gebiet der Großen Seen von „Verschwindenlassen“, Folter, willkürlichen Hinrichtungen oder menschenunwürdigen Haftbedingungen bedroht waren. Unter den Betroffenen sind Menschen, die zu allen ethnischen und politischen Gruppen gehören. Barbara Erbe, Pressesprecherin,
amnesty international,
Sektion der Bundesrepublik
Deutschland e.V.
[...] Die Position, die dem Artikel zugrunde liegt, scheint zu sein, daß es in Ordnung oder doch nicht so schlimm ist, wenn es Völkermörder, Vergewaltiger, Folterer selber erwischt. Auch wenn viele dieser Haltung spontan zuneigen mögen, ist es nach meiner Auffassung ein Holzweg, weil es den epochalen Fortschritt der Deklaration universeller und unveräußerlicher Menschenrechte relativiert. Gewisse Rechte (Leben, körperliche Unversehrtheit) sind so wichtig, daß sie nicht verwirkt werden können. Wir müssen es schaffen, mit Konflikten, Verbrechen und Greueltaten anders umzugehen, als unsererseits Verbrechen an Tätern hinzunehmen oder gar gutzuheißen. Kay Schaumlöffel, Berlin
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