: Ängstliche Saboteure auf altem Stadtplan
■ In Petra Oelkers Krimi „Tod am Zollhaus“bremst Faktentreue und Beliebigkeit
In England ist James Watt gerade dabei, seine Dampfmaschine zu erfinden, als im fernen hanseatischen Kaufmannsmilieu im Jahre 1765 ein heimtückischer Mensch sein Unwesen treibt. Er kommt immer im Dunkeln, von hinten, gerne in verregneten Nächten und hat es wohl auf das geordnete Leben des braven Kaufmanns Hermann abgesehen. Sabotage, Intrige – schließlich der Mord an dessen Schreiber Behrmann.
Die Hamburger wissen sofort, wo sie potentielle Täter zu suchen haben: Die „Nichtseßhaften“mit ihrem Wandertheater sind wieder einmal in der Stadt, und –so will es das Vorurteilso – so soll's dann auch der Komödiant Jean gewesen sein, der sturzbesoffen neben dem erdolchten Behrmann in der Gosse lag. Aber auch schon vor 200 Jahren waren die einfachen Lösungen nie die richtigen: Jean wird zwar eingelocht, das Erstechen, Erdolchen und Ersticken aber geht weiter. Zwischen Gängevierteln, Börse und Kaffeehaus beginnt nun die Suche nach dem wahren Saboteur der städtischen Gemütlichkeit, und erstmals haben die Stände von Komödianten und Kaufleuten ein gemeinsames Anliegen.
Die Hamburger Journalistin Petra Oelker hat in ihrem ersten historischen Kriminalroman Tod am Zollhaus der eigenen detektivischen Spurensuche in Hamburgs 18. Jahrhundert ungewollt den Vorrang vor einer spannenden Geschichte gegeben. Die Handlung ist wenig dramatisch, ein Höhepunkt nicht spürbar, ein Krimi ohne Herzklopfen.
Ohne Spannung aber läßt sich auch Historie schlecht transportieren, und so bleibt trotz aller bemüht historisch korrekten Dialoge und Lebensgeschichten das Hamburg des 18. Jahrhunderts gesichtslos und genauso fremd wie vorher. Noch tückischer aber ist, daß die banale Geschichte auch das Gefühl von historischer Beliebigkeit erzeugt. Dabei hat Petra Oelker jahrelang diese Hamburger Welt des 18. Jahrhunderts im Geiste rekonstruiert, Ereignisse gesammelt, Detailberge zusammengetragen, um in diesem akribisch recherchierten Gerüst dann ihre Geschichten und ihre Figuren spielen zu lassen. Realität und Fiktion, unbedingte Faktentreue, verbunden mit sprudelnd-spannender Phantasie, sind grundsätzlich wohl eher Zwangsgemeinschaften,die sich gegenseitig leichter hemmen als motivieren können. Die Phantasie muß sich der historischen Realität vergewissern, Dialoge müssen sagbar, Gedanken denkbar und Wege gangbar gewesen sein. Und wenn die Protagonisten sich dann phantasievoll und selbstverständlich im fremden, vergangenen Milieu zurechtfinden, können sie es im Gegenzug auch glaubwürdig machen.
Eine schwierige Gratwanderung, an dem die Autorin sich in diesem Erstlingswerk erproben mußte. Ihre Protagonisten sollten in einer hanseatisch-historischen Krimi-Serie ruhig weiterhin das 18. Jahrhundert bevölkern. Vielleicht sind sie dann selbstbewußter als nach ihrem ersten ängstlichen Auftritt. Und wenn sie dann auch noch bessere Geschichten erleben, können sie sicherlich mehr als jedes spröde Geschichtsbuch.
Eva Rink
Petra Oelker, „Tod am Zollhaus“, Rowohlt , Hamburg, 1997
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