: Wohnbiotop im Grünen
Wände aus Holz und Lehm, Dächer begrünt, Abwasser ins Schilfbeet: Dreizehn Familien bauten in Schöneiche eine Öko-Wohnsiedlung ■ Von Gereon Asmuth
Ganz am Rande von Berlin, noch hinter den Wäldern am S-Bahnhof Rahnsdorf, liegt Schöneiche. Doch auch das von Einfamilienhäusern geprägte Dorf wurde von der hauptstädtischen Bauwut erfaßt. Bauschilder und Neubauten locken betuchte Stadtrandfanatiker.
Ganz am Rande von Schöneiche, noch hinter der alten Dorfkirche, hat die Bauwut aber auch positive Spuren hinterlassen. „Am Anfang stand die Wohnungsnot“, erzählt Johannes Kirchner, ehrenamtlicher Geschäftsführer der Eigentümergemeinschaft einer kleinen grünen Siedlung. „Viele von uns wohnten in Häusern mit Rückübertragungsansprüchen der Alteigentümer. Und Sozialwohnungen gab es hier so gut wie gar nicht.“ So griffen dreizehn junge Familien selbst zur Schaufel.
Drei Jahre trafen sie sich wöchentlich, um das Bauprojekt zu planen. Als Minimalkonsens beschlossen sie eine traditionelle, möglichst ökologische Bauweise für eine autofreie Siedlung. Sie pachteten günstiges Bauland von einer Kirchengemeinde und überzeugten schließlich auch die Landesregierung, ihr Projekt zu fördern. Die anderthalb Jahre Bauzeit bis zum Einzug Ende 1995 vergingen vergleichsweise schnell.
Kirchner hatte eigentlich von einem klassischen Steinhaus geträumt. Doch dann besuchten zwei Frauen ein Lehmbauseminar und überzeugten auch die anderen vom naturschonenden Baustoff. Die Außenwände sind in einem Drei- Schichten-Verfahren erstellt. Innen eine Mauer aus Lehmziegeln, sogenannten Grünlingen. Außen eine Verkleidung aus Lärchenholz. Dazwischen eine Dämmung aus Zelluloseflocken, die aus Altpapier hergestellt werden. Der Lehm schont nicht nur die Umwelt, sondern auch die BewohnerInnen der Häuser. Kirchner schwärmt von einer angenehmen Luftfeuchtigkeit von etwa siebzig Prozent: „Ich hab' noch nie so gut geschlafen wie hier.“ In herkömmlichen Häusern ist die Luft wesentlich trockener. Zudem riegeln dort die inzwischen üblichen Dämmungen die Räume dermaßen hermetisch ab, daß häufig Schwitzwasser an den Wänden entsteht. In der Schöneicher Siedlung nehmen die Wände überschüssige Feuchtigkeit auf. Die in die Wände integrierten Heizkörper sorgen zudem für eine angenehme Strahlungswärme. Damit das auch so bleibt, mußte die Siedlergemeinschaft allerdings auf Tapeten verzichten. Dafür zieren in den Lehm eingelassene Blütengirlanden oder selbstgeformte Stuckelemente die Innenwände.
Die Statik der vier bananenförmigen, zweistöckigen Gebäude bildet ein stabiles Holzgerüst. So blieb die Aufteilung sowohl zwischen den einzelnen Familien als auch innerhalb der Wohnungen flexibel. Die Dächer schmücken derzeit trockene Pflanzen. „Extensive Dachbegrünung, die kaum Arbeit macht“, erklärt Kirchner. Nur falls sich mal Samen der umstehenden Birkenwälder auf den Dächern einisten sollten, müssen die Sprößlinge ausgerupft werden, damit die Wurzeln die Dächer nicht beschädigen.
Nicht nur beim Bau, auch für den Betrieb ihrer Häuser entschied sich die Gruppe für die Ökologie. Sie installierten Komposttoiletten, eine moderne Form des Plumpsklos. Die „Biomasse“ landet ohne Wasserspülung direkt in einer geruchsschonenden Box im Keller. Etwa zwei Stunden im Monat benötigt Kirchner, um die Bioabfälle aus Mensch und Küche regelmäßig aufzulockern. „Nichts für feine Nasen“, weiß Kirchner. Aber langfristig wird wertvoller Kompost für die Gärten gewonnen. Und die stetig steigende Gebühr für Abwasser gespart. Die dennoch notwendigen Abwasser aus Dusche oder Waschmaschine werden in ein Schilfbeet geleitet und gleich auf dem Grundstück geklärt.
„Ökologisch bauen heißt nicht unbedingt teuer bauen“, betont Kirchner. Andernfalls hätten sich die kinderreichen Familien den Einstieg ins Projekt gar nicht leisten können. Auf 24 Erwachsene kommen hier 41 Kinder. Ein großer Teil der Arbeiten wurde von den Gruppenmitgliedern selbst erledigt. Gemeinsam wurden die Kellerfundamente ausgehoben. Der Architekt, der Elektriker, der Tischler, die Installateure, die jetzt hier wohnen, brachten ihr Wissen ein.
Und sie geben es auch gerne weiter. „Nur wenn hier Leute zum Gucken mit ihren Autos direkt in die Siedlung fahren, fühlt man sich wie im Zoo“, meint Kirchner. Ansonsten könne man aber gar nicht genug erzählen über das Projekt. Denn die Siedlung wurde inzwischen nicht nur mehrfach preisgekrönt. „Das gemeinschaftliche Planen und Bauen war eine gute Basis für das Zusammenleben“, meint Kirchner und freut sich über das Wunder, daß sich bis heute noch für jede Arbeit jemand gefunden habe. Wie zur Bestätigung pflastern nebenan einige seiner Nachbarn die Wege.
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