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Das Gespenst der absoluten Freiheit

William S. Burroughs' Kampf gegen die Schreibmaschine, den eigenen Körper und gegen die Sprache  ■ Von Georg Seeßlen

Die lange und seltsame Geschichte der Revolte in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts, vom Rock'n'Roll zur Neuen Linken, von Hermann Hesse zum Strukturalismus, von der Bewußtseinserweiterung zur Ökologie ist so widersprüchlich und mißverständlich, daß vermutlich das nächste halbe Jahrhundert nicht ausreichen wird, eine halbwegs luzide Geschichte ihrer Ursachen, Formen und Auswirkungen zu erstellen. Einige bemerkenswerte und schwierige Kapitel werden jenen Menschen gewidmet sein, die diese Widersprüche mehr oder weniger exzessiv lebten und sie in Kunstwerke verwandelten. Rock'n'Roll- und Revolte-Kunstwerke, das heißt: Anders als beim „bürgerlichen“ Künstler ist das Leben selbst, der Körper, die Geschichte, das Begehren, Teil des Kunstwerks. Wie am Beginn der bürgerlichen Kunst war auch an ihrem Ende der Künstler nur als dunkler Heiliger in seiner Passion zu definieren. Weil der Rockstar sich als Künstler verstehen durfte, konnte der Künstler wie ein Rockstar funktionieren.

William S. Burroughs war der Künstler der Beat- und Rockära. Er führte seinen Kampf gegen die Schreibmaschine und gegen den eigenen Körper, gegen die eigene Klasse und gegen die Sprache. Er war der gefallene Engel der Harvard-Kultur, Sohn gutbürgerlicher Familie, der seinen eigenen Körper nicht in der Strandsonne, beim Tennisspielen und in freundlichen Sexspielen erleben wollte, wie es seiner Klasse angemessen schien, sondern in freiem Fall. Statt Rechtsanwalt oder Literaturprofessor wurde er Kammerjäger, Journalist, Barmixer, Privatdetektiv – als müßte er immer im Schmutz herumschnüffeln, immer noch um einen Kick tiefer. Und die Droge wurde sein Leben. Er war Junkie, und „Junkie“ hieß sein Debütroman aus dem Jahre 1953. Er verklärte die Droge nicht, er versuchte auch nicht, wie es sich später gehörte, ihr mystische Weihen zu geben. Er liebte die Droge.

Das Schlüsselwort für seinen seltsamen Kosmos ist „Kontrolle“. William S. Burroughs kämpfte sein langes Leben lang gegen Kontrolle und mußte doch immer wieder auf ihren Mythos hereinfallen. Er entzog sich der Kontrolle, die ein bürgerliches Karriere- und Familienleben ausmacht, in ein Leben, das nicht mehr der romantischen Vorstellung von Boheme glich, sondern die Paranoia zelebrierte. Tief unten, weit weg. Er entzog sich der Kontrolle von Wahrnehmung durch Wirklichkeit und Rationalität durch alles, was man in seinem Körper praktizieren kann, um Grenzen aufzulösen. Er entzog selbst seiner Kunst den Autor, indem er alles zu eliminieren versuchte, was „Kontrolle“ über den Text bedeutete. Er entzog sich der Kontrolle von Staat und Gesellschaft in Verschwörungs- und Verfolgungsphantasien. Und Burroughs entzog sich sogar der Struktur des Begehrens, indem er willkürlich und gewaltsam seine hetero- und homosexuellen, seine kreativen wie destruktiven Impulse aufeinanderhetzte. Daß er seine Frau im Drogenrausch beim Wilhelm-Tell-Spiel erschoß, war einerseits eine weitere Station im Passionsgeschehen Burroughs, andererseits aber auch ein weiteres Kunstwerk. Vollkommen offen der psychoanalytischen, mythologischen, ästhetischen und literarischen Deutung. Die schonungsloseste Revolte gegen Kontrolle und dementsprechend vollkommen frei von Feuer oder Umkehr. Für Burroughs waren die Droge und der Waffenfetischismus so wenig ausschließender Widerspruch wie sein Traum, ein Spion zu sein und zugleich sein eigenes und das Leben der amerikanischen Gesellschaft von FBI- und CIA-Spionen durchnetzt zu sehen. Er war verflucht nahe daran, ein de Sade der Pop-Revolte zu werden.

Aber konnte der Text mit diesem Leben Schritt halten? Ist Kunst entstanden, die diesen Künstler transzendiert? Wie der Bürgerkünstler sich in den Bonvivant, den sanften Buddha der Ordnungen verwandelte, so gab sich Burroughs die Maske der Entkörperlichung. Wie bei Iggy Pop berühten sich Lebensgier und Askese, wie bei David Bowie Glanz und Leere. Und zur gleichen Zeit versuchte er, von „Naked Lunch“ (1959) über „The Soft Machine“ (1961) bis zu „The Ticket That Exploded“ (1964) den Text von der Kontrolle zu befreien. Ziemlich viele Menschen bewunderten diese Versuche und lasen immerhin ein paar Seiten. Wichtiger war, daß die Bücher im Regal standen und sich mehr oder weniger progressive Rockbands nach ihnen benennen konnten.

Die Revolte gegen die Kontrolle führt in die Abhängigkeit. Das ist einerseits absurd und andererseits so konsequent, daß sich Burroughs zumindest in den letzten 30 Jahren seines Lebens dessen vollkommen bewußt war. So wie die Geste der biographischen Revolte in die Abhängigkeit von der Droge führt, die Geste gegen die politische Kontrolle in die Abhängigkeit von Konstruktionen paranoider Systeme, so führt auch die Revolte des Textes gegen seine Kontrolle (durch den Autor als letter Instanz gesellschaftlicher Macht) in die Abhängigkeit, und zwar in die Abhängigkeit von der Sprache selbst. So verhalten sich die Burroughs-Texte der sechziger Jahre wie Halluzinogene im Blut- und Nervenkreislauf, wie die Erfüllung der wüsteten Träume von E. T. A. Hoffmann, Robert Louis Stevenson oder Edgar Allan Poe: jener Text, der als etwas vollkommen Fremdes den Autor anspringt und ihn erst in den wirklichen Wahn treibt.

Die Abwehr der Kontrolle, die die Abhängigkeit erzeugt, führt zu dem Text, der den Autor erfindet. Burroughs versuchte in seinem „Cut-up“-Verfahren, in dem er seine eigenen Manuskripte zerschnitt und neu zusammensetzte und mit vorgefundenen Textmaterialien montierte, eine ähnliche Befreiung, wie es zur gleichen Zeit und mit ähnlichen Techniken der „Experimentalfilm“ versuchte. Die Methode wird dabei die Botschaft, der Prozeß überwindet das Werk. Man kann über „Nova Express“ nicht so sprechen, wie man über den „Zauberberg“ spricht. Das ist ein Fortschritt, einerseits.

Aber der der Kontrolle des Autors (zumindest scheinbar) entlassene und in die Abhängigkeit vom Fluß der Sprache geratene Text führt auch selbst zur Entkörperlichung. Burroughs wurde so zum Propheten von Cyberspace und Hypernet, zu einem Spiel mit der Sprache, das verkennt, daß Sprache nicht nur Objekt von Kontrolle ist, sondern selbst die entscheidende Kontrolle. All das: die Droge, die Gewalt, das Begehren und die Sprache, „gewähren“ zu lassen, führte nicht zur entscheidenden Auseinandersetzung mit der Kontrolle, sondern nur zu ihrer spätestromantischen Mythisierung.

Burroughs war der Autor der Pubertät – was ganz und gar nicht denunziatorisch gemeint ist. Niemand konnte mit ihm erwachsen werden, natürlich am wenigsten er selbst. Es gibt ein Alterswerk von ihm, das wenig Einfluß gehabt hat und wie eine Revision der eigenen Paranoia, nun in der traditionellen Weise der künstlerischen „Repräsentation“, zu lesen ist. Es handelt vom Untergang der westlichen Zivilisation und ist, nebenbei gesagt, gelegentlich furchtbar reaktionär. Statt dem Text die Kontrolle zu entziehen, schreibt er bis zu „Western Lands“ (1987) Texte, die auf eine durchaus kontrollierte Weise von einer scheinhaften Kontrollosigkeit träumen. Sad said Sade – David Cronenberg hat in seinem Film „Naked Lunch“ so etwas wie „Die Verfolgung und Ermordung der Literatur dargestellt durch das entkontrollierte Leben des William S. Burroughs“ zu fertigen versucht, und es ist – das ist bestimmt nicht nur Cronenbergs Manie – die Geschichte von gegenseitiger Durchdringung von Insekt, Sprache, Maschine, Maske und Begehren. Die Paranoia ist Ausdruck der Macht, ist Revolte, aber mehr noch ist sie die Verlängerung der Macht.

Der große Mythos des William S. Burroughs und seiner Schatten in der Rock'n'Roll- Welt besagt, daß es etwas gibt, das es zu befreien gilt, tief unten und hoch oben, daß das, was durch den Körper fließt, Sprache, Drogen, Gewalt und Sexualität, sich gegen seine kontrollierte Gestalt verbünden könnten. Aber weder hat der befreite Text noch etwa Cronenbergs Kinotraum und ganz und gar nicht die Rock'n'Roll- Geste ein Bild dafür gefunden. Auch diese Revolte scheitert vor allem an sich selbst, und Burroughs selbst war nicht nur der an Amerika paranoid leidende poète maudit, sondern auch Ausdruck der unbegrenzten Möglichkeiten dieses Landes und dieses Systems. Und letztendlich konnte er es nicht einmal schaffen, auf diese Weise den Klischees zu entgehen, die sich eine Gesellschaft verpaßt, die selber die Abwesenheit von gesellschaftlicher Kontrolle zur Ideologie erhebt. So wie sich der Text von seinem ästhetischen Subjekt zu befreien suchte, so befreite sich zur selben Zeit das Kapital von seinem historischen Subjekt. Die Burroughs-Freiheit ist weiß, männlich und bürgerlich, auch wenn man all das noch so sehr durch Blut, Schweiß, Tränen und Wahn zieht. Und Freiheit hat sich Burroughs nie anders vorstellen können, als es sich B-Filme aus Hollywood vorgestellt haben. Das Gespenst der bedingungslosen Freiheit rekonstruierte sich als Aristokrat, und so ist William S. Burroughs am Ende, voll Respekt und Melancholie gesagt, ein Märchenonkel geworden, ein Autor von Schmuddelkinderbüchern, deren Leser sich um den bösen Mann scharen, als hätten sie von ihm Verständnis dafür zu erwarten, daß aus ihren Revolten nichts werden kann.

Burroughs gehört zu uns, wie er aufs Cover von „Sergeant Pepper's Lonely Hearts Club Band“ gehört. Literarisch ist er so wichtig, weil wir durch ihn wissen, daß das Verhältnis von Autor und Text komplizierter ist, als wir dachten. Die aufregenden Fragen, die er gestellt hat, werden wohl die reaktionären Antworten überdauern, die er gegeben hat. Und im übrigen wollen wir in den nächsten 50 Jahren keinen Schriftsteller mehr erleben, der so bar jeden Anflugs von Humor ist wie William S. Burroughs.

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