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■ Algerien: Der Terror gegen die Zivilbevölkerung eskaliertDer Krieg als Kurzmeldung

Über 200 Tote in den letzten zehn Tagen. Das genügt, um die Grenze der medialen Gleichgültigkeit zu überschreiten. Der brutale Machtkampf zwischen radikalen Islamisten und Militärs, der auf dem Rücken der Zivilbevölkerung ausgetragen wird, ist es wert, aus den Tiefen der Kurzmeldungsspalten in den redaktionellen Teil der Tageszeitungen aufzusteigen und in Radio und Fernsehen vermeldet zu werden. Morgen dann gerät der Konflikt wieder in Vergessenheit, bis ein weiteres Mal die Opferzahlen zu hoch liegen, um sie zu verschweigen, oder eines der alltäglichen Massaker unter Anwendung grausamster Methoden verübt wird – die taz ist da keine Ausnahme.

Was den algerischen Konflikt in der Presse so unpopulär macht, ist nicht nur die ständige Wiederholung der gleichen Schreckensnachrichten – 120.000 Tote seit 1992 –, sondern auch die fehlenden Bilder. Der algerische Konflikt ist ein Krieg hinter verschlossenen Türen. Und wir haben uns längst damit abgefunden, daß die internationale Presse nur noch schwach im Lande vertreten ist. Ständige Akkreditierungen, verbunden mit dem Recht, jederzeit frei ein- und ausreisen zu können, vergibt Algier schon lange nicht mehr. Wer als Sonderberichterstatter arbeitet, muß dies mit dem obligatorischen Leibwächter tun. Und die letzten Journalisten, die vor Ort ausharren, müssen damit rechnen, daß bei unliebsamer Berichterstattung ihre Aufenthaltsgenehmigungen nicht verlängert werden.

Das und eine strikte Zensur bei Sicherheitsfragen macht nur noch schwer überprüfbar, wer in den einzelnen Fällen die Täter und wer die Opfer sind. Dieses Mal traf es einmal mehr die Region zwischen Medea und Blida – eine der Gegenden, in denen tagsüber das Militär und nachts die bewaffneten Islamisten das Sagen haben. Vor nur drei Wochen haben Armee und Bürgerwehren genau den radikalen Bewaffneten Islamischen Gruppen (GIA) ihren schwersten Schlag seit langem zugefügt – 160 tote Terroristen, unter ihnen vermutlich der GIA-Chef Antar Zouabri, 60 Festnahmen und 40 Geflohene –, denen seither die von der Armee ins Leben gerufenen und mit Waffen versehenen sogenannten Selbstverteidigungskomitees nachstellen. Eine Situation, wie geschaffen dafür, daß sich jeder an jedem rächt. So spricht amnesty international im letzten Jahresbericht von „als Soldaten verkleideten Islamisten und als Islamisten verkleideten Soldaten“. Hinter den täglichen Kurzmeldungen verbirgt sich ein langsames, stummes Ausbluten der algerischen Zivilgesellschaft. Reiner Wandler

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