: Staustelle Senatskanzlei
Große Koalition in der Krise: Regierender Bürgermeister Diepgen macht Megastau auf dem Stadtring zur Chefsache. Verkehrssenator kritisiert Bausenator ■ Von Gerd Nowakowski
Auf der Stadtautobahn am Funkturm geht nichts mehr. Dem Ferienstau entronnen, stauten sich zum Schulanfang die Bleche auf einer Rekordlänge von zwanzig Kilometern, weil die Ausfahrt am Spandauer Damm erneuert werden muß. Ergebnis: Schwitzflecken bei Tausenden Autofahrern und ein Entrüstungssturm im Blätterwald.
Verkehrssenator Jürgen Klemann (CDU) reagierte erschrocken und wies Bausenator Jürgen Klemann (CDU) an, sofort die Bauarbeiten einzuschränken und eine dritte provisorische Spur Richtung Norden freizumachen, um den entnervten Autofahrern wieder Triebabfuhr zu verschaffen. Doch die flugs herausposaunte gute Nachricht erwies sich bald als halbe Lüge der Verkehrsverwaltung. Die Atempause für heißgelaufene Bleifüße ist nämlich nur kurz. In drei Wochen, so sickerte durch, gehen die Bauarbeiten in großem Umfang weiter.
Seitdem brennt die Luft nun auch ganz oben im Senat. Denn der Regierende Bürgermeister erinnert sich noch allzugut an ein Bonmot aus West-Berliner Mauerzeiten. Der Berliner verzeihe das dilletantische Herumdoktern des Senats auf allen Feldern der Politik, doch beim Dauerstau auf der Avus wackele die Stadtregierung, hieß es damals. Bloß nichts anbrennen lassen, sagte sich also Eberhard Diepgen und machte den Stau flugs zur Chefsache. Denn der Mega-GAU Berliner Politik droht noch. Ausgerechnet zur Funkausstellung soll auch an der Avus der Asphalt aufgerissen werden.
Der Senat inmitten der schwierigsten Haushaltsberatungen seiner Geschichte? Muß warten! Das für die Große Koalition zentrale Projekt Bezirksgebietsreform droht wegen abtrünniger Abgeordneter zu scheitern? Unwichtig! Priorität für den Regiermeister hat der drohende Autobahninfarkt. Denn schon sind auch die politischen Geisterfahrer auf der Überholspur. Allen voran die ansonsten im Bedeutungsstau steckende Berliner FDP. Sie hupt herum, Bausenator Klemann als Verantwortlicher für das Autobahndesaster müsse seinen Hut nehmen.
Aber Berlin darf hoffen. Als Krisenmanager hat der Regierende Bürgermeister den Leiter der Senatskanzlei, Volker Kähne, eingesetzt. Der in Sachen Olympiabewerbung und der Länderfusion Berlin-Brandenburg erfolgreiche Staatssekretär soll die Große Koalition retten. Doch die Staufalle bleibt bestehen: Wird weiter gebaut, kann die CDU einpacken – wird nicht gebaut, droht ein heißer Herbst. In der Bild-Redaktion liegt nämlich schon die Schlagzeile bereit: „Riesenschlaglöcher – Senat läßt Stadtautobahn verkommen“.
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