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Rechenschwach und ohne Gottvertrauen

■ Finanzexperten widerlegen die extrem pessimistischen Einnahmeprognosen der evangelischen Kirche. Kürzungen auf der Grundlage unseriöser Schätzungen. Kritiker: Kahlschlag ist „unverhältnismäßig“

Die evangelische Kirche will brachial sparen. Aber die Steuerprognosen, mit denen sie ihren zweiten Kürzungsetat nach dem für 1997/98 rechtfertigt, sind nach Ansicht von Finanzexperten weitaus zu pessimistisch. Die Folge: Die Berlin-Brandenburgische Kirche gefährdet auf eine unseriöse Schätzung hin kirchliche Einrichtungen und Arbeitsplätze. Bereits für 1997/98 hatte die Kirche einen Abbau von 1.300 Stellen beschlossen. 1999 sollen nun Einrichtungen wie „Aktion Sühnezeichen“, 200 kirchliche Kindertagesstätten und das Diakonische Werk massive Kürzungen hinnehmen.

Wie berichtet, hatte Bischof Wolfgang Huber Anfang der Woche für das Jahr 1999 einen Rückgang der Kirchensteuereinnahmen um 40 Millionen Mark prognostiziert. Dies beruhe darauf, „daß wir mit einem Rückgang der Kirchensteuern von 40 Prozent gegenüber 1998“ rechnen müssen. Diese Rechnung sei „völlig unverhältnismäßig“, kritisiert der kirchenpolitische Sprecher der Bündnisgrünen, Dietmar Volk. „Bischof Huber nutzt die Zeit der Steuermindereinnahmen, um die Mißwirtschaft der Kirche in den letzten Jahren zu kaschieren.“ Volks steuerpolitische Kritik wird von den harten Zahlen ebenso wie von anerkannten Finanzexperten untermauert.

Die pessimistische Prognose für die Kirchensteuer beruht laut Huber auf drei Faktoren: erstens einer negativen Konjunkturentwicklung, zweitens der geplanten großen Steuerreform, drittens dem Rückgang der Kirchensteuerzahler. Mindestens der erste und der zweite Punkt aus dieser Rechnung stehen auf wackligen Füßen.

Konjunkturentwicklung: Die Kirche meint, einem Steuerrückgang von 15 Prozent entgegenwirken zu müssen. Tatsächlich sind die Einkünfte aus Lohn- und Einkommensteuer, an die die Kirchensteuer direkt gekoppelt ist, in den letzten Jahren nicht etwa gefallen, sondern kontinuierlich gestiegen. Lediglich von 1995 auf 1996 sank die in Berlin erhobene Lohn- und Einkommensteuer geringfügig um 3,4 Prozent. Das ist weit niedriger, als die Kirche mit 15 Prozent annimmt. „So stark sehe ich das Steueraufkommen nicht zurückgehen“, widerspricht der Sprecher der Oberfinanzdirektion, Konrad Werpuschinski, der Kirchenprognose. Und auch für den reputiertesten Berliner Steuerschätzer, Dieter Vesper vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, ist diese Kirchenprognose „so nicht nachvollziehbar“.

Große Steuerreform: Auch hier nimmt die Kirche Mindereinnahmen von 15 Prozent an. Doch die Steuerreform ist vor wenigen Tagen erst einmal gescheitert. Ob eine Steuerreform kommen und wie sie aussehen wird, kann heute niemand vorhersagen. Die Kirche aber, so erläuterte Hubers Stellvertreter Propst Karl-Heinrich Lütcke, ist „von den Modellen der Steuerreform ausgegangen, die auf dem Tisch lagen“.

Mitgliederrückgang: Selbst hier sind die Zahlen weit geringer, als man aufgrund der geplanten massiven Etatschnitte glauben möchte. Die Zahl der Kirchenmitglieder sinkt jährlich um rund 3,5 Prozent. Hinzu komme eine Verschiebung der Altersstruktur zum Rentenalter, begründete Propst Lütcke.

„Wir haben nicht in übler Absicht pessimistisch gerechnet. Wir wollten Vorsorge treffen“, sagt Lütcke. Eine Vorsorge, die mit abgewickelten oder zerstörten Strukturen bezahlt wird. Christian Füller

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