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Ein ganzes Dorf hüllt sich in Schweigen

Drei zehnjährige Schüler vergewaltigten in Bayern eine gleichaltrige Mitschülerin – und der Rektor lehnt die Bestrafung der Täter ab. Nun muß das Opfer die Schule wechseln  ■ Aus Schwarzenbruck Bernd Siegler

Schreinermeister Martin Pielmann, Elternbeiratsvorsitzender an der Grundschule im mittelfränkischen Schwarzenbruck, richtet sein Hauptaugenmerk auf die Schulferien: „Wir brauchen jetzt alle Ruhe.“ Jugendamtsleiter Dietmar Taraba hingegen muß unfreiwillig Ruhe geben. Er hat Redeverbot. Um Ruhe zu haben, hat Schulrektor Hans Herzog gegen sich selbst eine Dienstaufsichtsbeschwerde erhoben. Angesichts dieses schwebenden Verfahrens muß nun auch der Leiter des Staatlichen Schulamts, Horst Günther Lott, stillbleiben.

Die Ferien haben inzwischen angefangen. Nicht nur sie haben einen Mantel des Schweigens über einen Vorfall an der Grundschule der 8.500 Einwohner zählenden Gemeinde gelegt: die Vergewaltigung eines zehnjährigen Mädchens durch drei gleichaltrige Klassenkameraden.

Am 7. Juli fallen die Drittkläßler im Wiesengrund gleich hinter der Schule über die zehnjährige Monika (Name von der Redaktion geändert) her und reißen ihr die Kleider vom Leib. Einer hält sie an den Armen, der zweite an den Beinen, der dritte schließlich vergewaltigt sie.

Als Monikas Vater daraufhin zur örtlichen Polizeidienststelle geht, hat dort gerade der Vater eines der drei beteiligten Jungen Dienst. Der erklärt sich für befangen. Sein Kollege schickt den aufgebrachten Vater mit dem Rat nach Hause, er solle doch zu „normalen Öffnungszeiten“ wiederkommen. Bei der Kripo in Schwabach kann Monikas Vater schließlich Anzeige erstatten.

Obwohl die Tat unstrittig ist – die Jungen waren geständig –, geschieht erst einmal nichts. Schulrektor Herzog lehnt die Forderung von Monikas Vater ab, die drei Jungen umgehend in eine andere Klasse zu versetzen. So muß das Mädchen weitere zwei Wochen lang mit ihren Peinigern in einer Klasse verbringen. An einem Tag teilt sie sogar mit einem von ihnen die Schulbank.

Da der Überfall mittlerweile zum örtlichen Tagesgespräch geworden ist, recherchiert ein Journalist des örtlichen Boten und nimmt Kontakt mit dem Vater auf. Erst als der all seine Bemühungen um Konsequenzen für die Täter und Schutz seiner Tochter für gescheitert ansieht, stimmt er einer Veröffentlichung zu. Der Zweispalter mit der Überschrift „Furchtbares Erlebnis“ macht Schwarzenbruck in Windeseile in Bayern bekannt.

„Ich hätte erwartet, daß Moni geschützt wird“, berichtet der Vater in dem Artikel enttäuscht. Die Schule setze statt dessen alles daran, die Täter zu schützen. Ein schwerwiegender Vorwurf, der weiteres Gewicht erhält, weil Monikas Vater bereits mehrere Briefe an die Schule geschickt hatte. Darin mahnte er vergebens Konsequenzen aus den ständigen Gewalttätigkeiten und Hänseleien an, die seine Tochter von den drei Jungen monatelang vor deren Tat zu erdulden hatte. „Wenn der Lehrer früher gehandelt hätte, wäre es gar nicht zu der schrecklichen Tat gekommen“, sind sich Monikas Eltern sicher.

Nach der Veröffentlichung spricht der Leiter des Staatlichen Schulamtes ein Machtwort. Um dem „Mädchen wieder einen angstfreien Schulbesuch zu ermöglichen“, ordnet er umgehend die Trennung der Kinder an. Das Zusammensein der Beteiligten in der Klasse sei „pädagogisch nicht gerade sinnvoll“ gewesen.

Auch vom zuständigen Jugendamt kommt geharnischte Kritik an der Schulleitung. Nach der Lektüre der Vernehmungsprotokolle der Polizei ist sich Amtsleiter Dietmar Taraba sicher, daß sofort etwas hätte geschehen müssen. „Wenn Kinder so etwas tun, sind sie eine Gefahr für ihre Mitschüler.“

In Schwarzenbruck selbst entstehen zwei Lager. Die einen sammeln Unterschriften gegen den Rektor, die anderen ziehen Monikas Aussagen in Zweifel und lasten ihr eine Mitschuld an der Vergewaltigung an. Sie legen Monikas Eltern nahe, aus Schwarzenbruch zu verschwinden.

In einem Schreiben an alle Eltern rechtfertigt schließlich Rektor Herzog sein Verhalten. Er habe versucht, die Angelegenheit intern aufzuarbeiten. Nach einem „pädagogischen Gespräch“ hätten die Täter zudem Entschuldigungsbriefe an Monika schreiben müssen. Dann warnt er alle Eltern davor, die drei Jungen als „Verbrecher“ zu bezeichnen. Sie wären sich der Tragweite ihres Verhaltens nicht bewußt gewesen. Volle Unterstützung erhält Herzog dabei vom Elternbeirat. Das Gremium bescheinigt dem Rektor, er habe „sehr verantwortungsvoll“ und „im Interesse der Kinder“ gehandelt. Für das Opfer hat der Elternbeirat in seiner Stellungnahme nur einen Satz übrig: Für das Mädchen sei nun eine „psychologische Aufarbeitung wichtig“.

Mehr „Zuwendung“ indes erhalten die Täter. Man bemüht gar die „christliche Verantwortung unserer Gesellschaft“, um an die „Pflicht unserer Gesellschaft zur Wiedereingliederung der noch strafunmündigen Kinder“ zu erinnern. Hier sei „pauschale Verurteilung“ fehl am Platz. Zudem gelte es jetzt, „trotz des Entsetzens über die Tat den Blick nach vorne zu werfen“.

Inzwischen hat das Kultusministerium in München einen detaillierten Bericht bei der Bezirksregierung von Ansbach angefordert, auch Landrat Helmut Reich schaltete sich ein. Er verhängte Jugendamtsleiter Taraba einen Maulkorb. Schulamtsleiter Lott ist ebenfalls zum Schweigen verpflichtet, nachdem Rektor Herzog über seinen Rechtsanwalt Reinhard Debernitz gegen sich selbst ein dienstaufsichtsrechtliches Verfahren eingeleitet hat. Debernitz will damit dem „Kesseltreiben“ gegen Herzog ein Ende bereiten: „Man tut ja gerade so, als ob Herzog das Mädchen vergewaltigt hätte.“

Debernitz wähnt sich auf dem richtigen Weg und spricht von einer „Tendenzwende“ in Schwarzenbruck. In der Tat liegen die Unterschriftenlisten nicht mehr aus. Der Empörung über den Rektor ist nun Verständnis, zumindest Stillschweigen gewichen. Auf Wunsch ihrer Eltern wird Monika im Herbst nicht mehr in Schwarzenbruck zur Schule gehen. Auch einer der Täter wird die Schule wechseln, während die anderen beiden auf jeden Fall in getrennte Klassen kommen.

Während Schulamtsleiter Lott alle vier Elternpaare an einen Tisch bekommen will, um über die Konsequenzen des Falls zu beraten, übt Elternbeiratsvorsitzender Pielmann derweil den Blick nach vorne: „Auch nächstes Jahr ist wieder Schule.“

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