piwik no script img

Der beschnittene Raum

■ Das reale Geschehen abspalten: Das Kino Arsenal zeigt heute abend zwei Filme, die das Thema Vergewaltigung auf sehr unterschiedliche Art und Weise behandeln

Die Angst vor Vergewaltigung ist bei den meisten Frauen keine Einbildung. Die kollektive Panik drückt vielmehr aus, wie sehr sich jede tatsächliche Vergewaltigung gegen das ganze weibliche Geschlecht richtet.

Im Arsenal werden heute abend zwei Filme gezeigt – „And She Said No“ von Teodora Ansaldo und „Da war ich der Stärkere“ von Sabine Zurmühl –, die Vergewaltigung einmal aus der Täter- und dann aus der Opferperspektive thematisieren. Einer Herausforderung kommt es gleich, dabei die Situation der Opfer mit visuellen Mitteln darzulegen, ohne auf Klischees zurückzugreifen, wie sie gerade durch die Medien nahezu stereotyp wiederholt werden. Denn die beispielsweise beim Zappen durch das Fernsehprogramm täglich wiederholbaren Bilder von verfolgten und weglaufenden Frauen, von schreienden, sich windenden Schönheiten, von durch ambivalentes Begehren scheinbar selbst an den Übergriffen beteiligten Heldinnen stellen eine Realität her, die mit dazu beiträgt, die Tragweite von Vergewaltigung zu banalisieren.

Teodora Ansaldo, die in Italien als Rechtsanwältin gearbeitet hat, bevor sie sich der Regie zuwandte, hat in ihrem Film auf die symbolische Ebene zurückgegriffen. Ohne Worte, eingebunden in eine getanzte Choreographie, spürt sie den mehrschichtigen Ebenen von Vergewaltigung nach. Da ist zum einen „die Weiße“, eine Frau auf der Suche nach ihrer eigenen Sinnlichkeit. Konfrontiert wird sie mit vier „Grauen“, die in Uniformjacken und mit Gasmasken bekleidet den Raum beschneiden. Als weitere Figur kommt eine Frau in Gelb dazu, die sich auf der Leiter über dem Geschehen bewegt. Die weißgekleidete und die gelbgekleidete Frau können als eine Person gedacht werden. Denn oft geschieht es in einer Vergewaltigungssituation, daß die Frau die Integrität ihrer Person nur dadurch wahren kann, daß sie das reale Geschehen von sich abspaltet.

Darin aber steckt schon ein Widerspruch per se, wenn Ganzheit durch Dissoziation hergestellt werden muß. Die Uniformen wiederum symbolisieren die Komplizenschaft der Gesellschaft. Wie oft wird der Frau unterstellt, daß sie den Übergriff in Wirklichkeit selbst initiiert hat. Da der Film 1993 gedreht wurde, in einer Zeit also, als die massenhaften Vergewaltigungen in Bosnien allmählich bekannt wurden, unterstreichen die Uniformen auch die strategische Bedeutung der Übergriffe auf Frauen. Die Choreographie verzichtet auf jegliche Übertreibung und ermöglicht so ein Nachdenken, das nicht in Betroffenheit steckenbleibt.

Einen ganz anderen Zugang zum Thema eröffnet Sabine Zurmühl in ihrem Film „Da war ich der Stärkere“. Sie interviewt Männer, die wegen Vergewaltigung in Gefängnissen einsitzen. Mit immer gleichen Fragen läßt sie sich das Geschehen beschreiben und versucht die Selbstwahrnehmung der Täter transparent zu machen. Nicht selten erlebten auch sie die Vergewaltigung als eine Tat, die von ihrer Realität abgespalten ist. Alle haben die Frauen bedroht, neutralisieren in ihren Berichten jedoch diese absolute Machtausübung. In zusätzlichen Gesprächen mit Therapeuten wird die gesellschaftliche Dimension von Vergewaltigung aus der Perspektive der Täter aufgezeigt: latente Frauenfeindlichkeit, eine Mystifizierung des Geschlechtsaktes, der weitgehend mit Penetration gleichgesetzt wird, und das Frauenopfer als Ersatz für eigene Schwäche. Allerdings zeigt Sabine Zurmühls Film auch, wie leicht es ist, Verständnis mit den Männern zu haben, die sich selbst als Opfer ihrer Verhältnisse begreifen. Daß dies selbst nicht als gesellschaftliches Phänomen reflektiert wird, kann dem Film durchaus als Mangel angelastet werden. Diskutieren läßt sich darüber in jedem Fall. Waltraud Schwab

Beide Filme werden im Beisein der Regisseurinnen heute, 21 Uhr, im Arsenal, Welserstr. 25 gezeigt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen