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Geheimnisverrat in Hessen

Ein Landtagsabgeordneter und Ausschußvorsitzender der CDU verbreitete geheimes Material für den Kampf gegen den grünen Justizminister Rupert von Plottnitz  ■ Von Heide Platen und Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) – Ein toter Journalist, ein Landtagsabgeordneter der hessischen CDU und ein geheimes Fax sind der Stoff, aus dem sonst die Kriminalromane sind. Im wirklichen Leben ermittelt die Staatsanwaltschaft Hanau ausgerechnet gegen Roland Rösler (53), den christdemokratischen Vorsitzenden des Unterausschusses Justiz im hessischen Landtag. Das Fax war am 17. Juli in der Wohnung des an Herzkreislaufversagen gestorbenen Journalisten Wolfgang P. von der Polizei sichergestellt worden. Es war am selben Tag um 11.43 Uhr angekommen und trug als Kennung die private Telefonnummer des Abgeordneten Rösler. Der Journalist war zu diesem Zeitpunkt tot.

Das Papier war so brisant wie vertraulich, denn es enthielt die Namen zweier Gefangener der Justizvollzugsanstalt Friedberg. Einer der beiden war Informant der Polizei und hatte einen Mitgefangenen verpfiffen, der nicht nur Ausbruchspläne schmiedete, sondern auch Munition und eine Waffe versteckt hatte. Das Papier war einen Monat zuvor von Justizminister Rupert von Plottnitz (Bündnisgrüne) zur internen Information der Ausschußmitglieder an deren Privatadressen verschickt worden.

Der Abgeordnete Rösler sagte dazu bisher nur, er könne sich nicht daran erinnern, das Papier an P. gefaxt zu haben. Er habe allerdings, räumte er ein, „in Kontakt“ mit dem Journalisten gestanden, der als freier Mitarbeiter für Bild und Welt tätig war. P. galt bei der Wiesbadener Landespressekonferenz als „zutiefst unseriös“.

CDU-Sprecherin Petra Müller- Klepper stellte sich gestern vor Rösler und nannte den Vorwurf „einen unglaublichen Vorgang“ und eine „unbewiesene Behauptung“, mit der der Justizminister hinter dem Rücken von Rösler an die Öffentlichkeit gegangen sei. Dessen Sprecherin Claudia Weisbart verwahrte sich gegen diese neuerliche Attacke. Sie habe die Öffentlichkeit erst informiert, als der Skandal bereits die Staatsanwaltschaft auf den Plan gerufen hatte. Oberstaatsanwalt Jost-Dieter Ort wollte gestern allerdings noch nicht bekanntgeben, ob er die Aufhebung der Immunität des Abgordneten Rösler beim hessischen Parlament beantragen wird.

Justizpressesprecherin Weisbart verwies gestern auf zwei weitere Fälle der Weitergabe von Informationen aus dem Unterausschuß Justiz, die den Schluß nahelegen, daß die Connection Rösler/ Wolfgang P. und CDU-Spitze seit langem bestens funktionierte. So erschien am 15. Dezember 1996 ein Artikel von Wolfgang P. in der Welt mit der Überschrift „Urlaub und freier Ausgang für Gewaltverbrecher“. Darin enthalten waren Informationen über den türkischen Strafgefangenen Sat Y. und dessen kriminelle Vita, die bis zu diesem Tag nur den Mitgliedern des Unterausschusses Justiz bekannt waren. P. ließ in seinem Artikel gleich noch den rechtspolitischen Sprecher der CDU-Fraktion im Landtag, Christean Wagner, zu Wort kommen: „Es ist ein unerhörter Vorgang, schwerkriminelle ausländische Gefangene in den offenen Vollzug zu verlegen.“

Am Tag danach erschien eine Presseerklärung der CDU im gleichen Tenor. Auch in einer weiteren Presseerklärung der CDU zu einem aus der JVA Rockenberg entflohenen Häftling tauchten danach Informationen auf, die nur den zur Verschwiegenheit verpflichteten Ausschußmitgliedern bekannt gewesen sein konnten. Die Konklusion der Union, daß der Entflohene seine frühere Freundin vergewaltigt habe, war dagegen eine Erfindung, für die sich die CDU bei dem wieder eingefangenen jungen Mann nicht entschuldigt hat.

Es werde nun allzu deutlich, wie die CDU ihre Kampagnen gegen den grünen Justizminister betreibe, kommentierte der Vorsitzende der Landtagsfraktion der Bündnisgrünen, Alex Müller, die Vorgänge. Die CDU arbeite mit „schmutzigen Tricks“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von SPD und Bündnisgrünen.

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