: Die Größe bringt Verlust bei America Online
■ Trotzdem würden sie Konkurrenten kaufen – angeblich dank Bertelsmann
Berlin (taz) – Gut 8,6 Millionen Menschen sind über America Online mit der vielbeschworenen Datenautobahn verbunden. Damit ist der Dienst aus Dulles in Virginia der größte der Welt vor Compuserve mit etwa drei Millionen Usern. AOL wächst beeindruckend schnell und verdoppelt derzeit alle Jahre seine Benutzerzahl. Trotzdem meldete AOL für das Geschäftsjahr 1996/97 gestern einen Verlust von 499 Millionen Dollar bei einem Umsatz von 1,7 Milliarden Dollar.
Denn das Wachstum bringt auch Nachteile. Kunden beklagten sich über den oft überlasteten Zugang zum AOL-Netz und von dort zum Internet. Die Firma versprach Abhilfe und stockte zum Beispiel die Zahl ihrer Zugangsmodems auf derzeit 350.000 auf. Die Investitionen trugen denn auch einen Teil zum Verlust bei. 385 Millionen Dollar Minus kamen allerdings von einer Änderung in der Bilanz. Dort werden nun Werbeausgaben sofort eingerechnet, statt wie bisher über zwei Jahre hinweg gestreckt. Dadurch schlugen im letzten Geschäftsjahr die Ausgaben von zwei Jahren zu Buche.
Trotzdem zeigt der hohe Verlust, daß die großen Zeiten der Online-Dienste erst einmal vorbei sind. Ihnen war eine große Zukunft prophezeit worden, weil das Internet nur für Computerfreaks geeignet sei. Die Kunden wollten einfache Zugänge zu den weltweit über Computer zugänglichen Informationen. Dabei wären die Online-Dienste die Makler der Information geworden und hätten dafür entsprechend saftige Gebühren kassieren können. Doch mit dem Siegeszug der Internet-Sparte World Wide Web (WWW) haben die Online-Dienste in den letzten Jahren eine übermächtige Konkurrenz bekommen, die gleichzeitig die Preise drückt. Das WWW ist mindestens so leicht zu begreifen wie die Software der Online-Firmen. Mit den WWW-Suchmaschinen werden Milliarden von Dokumenten weltweit durchforstet.
Daher sehen Experten eine Marktbereinigung bei den Online- Diensten anstehen. AOL läßt undementiert, daß sie Compuserve kaufen wollen. Dessen Mehrheits- Eigner, der US-amerikanische Steuerberatungsriese H&R Block, will die verlustgefährdete Compuserve passenderweise loswerden. Einziges Problem: H&R Block verlangt weit über eine Milliarde Dollar für Compuserve. Nun besagen die Gerüchte, daß Bertelsmann als Geldgeber dienen würde, wenn der Preis noch etwas heruntergehandelt würde. Immerhin ist der Medienriese aus Gütersloh jetzt schon mit fünf Prozent bei America Online beteiligt. Das Europa-Geschäft betreiben AOL und Bertelsmann sogar im Verhältnis 50:50. Reiner Metzger
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