: Bürgerliche Bildung in der bürgerlichen Gesellschaft?
■ betr.: „Die Gleichen und die Su pergleichen“, taz vom 5. 8. 97
In der bürgerlichen Gesellschaft sind Besitz und Bildung die beiden Faktoren, die über die soziale Anerkennung bzw. Nichtanerkennung maßgeblich entscheiden. Menschen, die, aus welchen Gründen auch immer, über Besitz verfügen, haben es da einfach: Sie haben ihren Bürgerstatus schon realisiert und müssen nicht erst den langwierigen und schwierigen Aufstieg nehmen. Für diejenigen, die nicht über Besitz verfügen, ist der Bürgerstatus zwar prinzipiell zu erreichen. Denn die bürgerliche Gesellschaft hält den Weg über die Bildung offen, der, wenn nicht zu den Mächtigen direkt, so doch in ihre Nähe führt, dorthin, wo die so Aufgestiegenen wenigstens im Gefolge der Macht etwas von ihrem Ruhm und ihrem Geld abbekommen. Aber der Weg, den solch ein Bildungsbürger in spe gehen muß, ist langwierig, kostspielig und voller Risiken. Eine wachsende kleinbürgerliche Schicht aus der ersten Generation, die nach dem Krieg geboren wurde, konnte so einen sozialen Aufstieg erreichen. Die Nachfrage der Wirtschaft und des Staates nach Hochschulabsolventen und anderen besonders Qualifizierten lag jahrzehntelang über dem Angebot an entsprechend Ausgebildeten. Es war dies die Zeit der Expansion von Bildungsstätten jeglicher Art und einer (weithin technokratischen) Bildungsreform. Alte Zöpfe wurden abgeschnitten und unter der Bildung seit langem angesammeltes Gerümpel entsorgt. Wohlgemerkt, dies war eine Bildungsreform und keine Bildungsrevolution. Folglich waren die maßgeblichen Akteure Reformer und keine Revolutionäre. Und die damals betroffenen Schüler und Studenten wollten in aller Regel nicht die Abschaffung oder Aufhebung der sozialen Auslese durch Bildung, sondern zeitgemäße Lehrmethoden und -inhalte, effizientes, praxisnahes Wissen, ausreichende Einrichtungen und die Aussicht auf eine angemessene Position nach der Ausbildung. All das haben sie bekommen – jedenfalls die meisten von ihnen. Und geben jetzt als Kleinbürger ihr kleinbürgerliches Ideal – sozialer Aufstieg oder mindestens Erhalt der einmal erreichten Pfründe – an die nächste Generation weiter.
Mittlerweile haben sich die Umstände geändert. Die Fleischtöpfe vermehren sich zwar immer noch, aber auch das Gedränge um sie herum ist dichter geworden. Mit hinreichender Sicherheit kann heute keiner mehr davon ausgehen, seinen erstrebten Platz durch einfaches Absolvieren von Schule und Hochschule zu bekommen. So ist es nur konsequent, daß die angesprochenen Eltern ihren Kindern Startvorteile verschaffen wollen. Nein, sie waren keine Revolutionäre und wollten es auch nie sein. Also nehmen wir sie wenigstens in diesem Punkt einmal in Schutz und fordern nicht etwas von ihnen, was sie (als soziale Gruppe) niemals werden leisten können.
Wenn es der Autorin Ernst ist mit der Umsetzung der Ideen der Demokratie und des Humanismus, dann sollte sie nicht über die Indifferenz und Unzuverlässigkeit ihrer sozialen Schicht klagen. Die bürgerliche Gesellschaft als Ganzes ist in Frage zu stellen. Sie ist es, die den von ihr selbst aufgestellten Kriterien nicht genügt. Sie ist es, die notwendig fortwährend Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten erzeugt. Ihre kapitalistische Grundlage ist es, die die Mehrheit der Bevölkerung von der Macht ausschließt und ihrem Wesen nach und ihren Folgen inhuman ist und nicht nur den Menschen zerstört. „Der Klassenkampf kehrt zurück; aber in ganz anderer Form als der gewohnten“, schreibt die Autorin. Dieser Feststellung schließen wir uns gern an. Wolfgang Maul, Nürnberg
Katharina Rutschky unterliegt einer Fehleinschätzung, wenn sie die im internationalen Vergleich viel zu niedrige StudentInnenquote in Deutschland als eine „Frage der Ökonomie, die sowieso nicht zu beantworten ist“, einfach beiseite schiebt. Um die Vergesellschaftung von Bildung und Ausbildung voranzutreiben, werden öffentliche Gelder gebraucht, die im reichen Deutschland vorhanden sein könnten, aber nicht genutzt werden. Sie erkennt vielmehr in 30 Prozent AbiturientInnenquote „einen maßgeblichen Beitrag zur gründlichen Demokratisierung, ja Humanisierung der autoritären, illiberalen deutschen Gesellschaft“. Das mag aus der Perspektive zurück auf die Nachkriegs-BRD vor 1968 zunächst stimmen. Tatsächlich hat es eine Demokratisierung des deutschen Bildungssystems nie gegeben. Sie ist auf halbem Wege steckengeblieben. Die radikale Zusammenstreichung des Bafög und die immer noch nicht existente demokratische Mitbestimmung aller Hochschulmitglieder dokumentieren den Rollback in den 90er Jahren. [...] Jörg Prante, Bonn
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen