: Beifall mit 250 bpm
Mozart touchiert Techno. Katharina Thalbachs „Don Giovanni“ im Berliner E-Werk ■ Von Anette Lamberty
Für Leute mit einem Hang zur Promiskuität war das E-Werk kein undankbarer Ort. Körperliche Betätigung spielte sich hier nicht solistisch auf der Tanzfläche ab, vielmehr fand sie (im Duett, Terzett etc.) hinter mehr oder weniger verschlossenen Toilettentüren ihren eigentlichen Höhepunkt. Bevor nun der Techno-Tempel für rhythmische Betätigung jeglicher Art seine Pforten schließt, hat nun der Prototyp des Jägers und Sammlers, „Don Giovanni“ (sein „Affärenregister“ verzeichnet mehr als 2.000 Nummern) in Mozarts gleichnamiger Oper seinen Auftritt. In weitgehend authentischer Kulisse der evidence hall, mit Feuerleitern und umherbaumelnden Kabelsträngen, spielt Katharina Thalbachs Inszenierung in der gegenwärtigen Techno-/Clubszene, in der – ganz wie im Sevilla des 18. Jahrhunderts – das alte Lied von „Liebe, Treue, Eifersucht“ geträllert und geheult wird. Weil hier erstmals ein Techtelmechtel von klassischer Oper mit Techno-Elementen getestet wird, wurde die Inszenierung mit Spannung erwartet. Zu befürchten war entweder eine Anbiederung der Hochkultur an die Szene oder aber, daß die Techno-Maschinerie über Mozarts subtile Partitur gnadenlos hinwegbulldozern würde. Thalbach fand eine bessere Variante: Techno-Passagen (von DJ Clé und MV Megusta) werden hier fast ausschließlich zwischen den Gesangsnummern Mozarts eingespielt, insbesondere dort, wo ohnehin getanzt wird. Die durch das E- Werk beziehungsweise die „Etage“ rekrutierten Tänzer, die ravend sehenswerte Akrobatik aufs Betonparkett legen (sogar zu einem Menuett von Mozart!) und die während der gesamten Oper Statistenrollen sowie eine kleine Choreinlage übernehmen, tragen mit dazu bei, daß der Kontrast der musikalischen Stilarten fast selbstverständlich wirkt.
Die Handlung selbst ist nicht an Ort und Zeit gebunden. Don Giovanni (Lars Fosser), dessen Faktotum Leporello (Robert Gierlach) vermutlich deswegen das erwähnte Register stets griffbereit unterm Arm trägt, weil die Entfernung zum Bett zu weit ist, um die Kerben in den Pfosten zu schnitzen, ersticht gleich zu Anfang kurzerhand den Vater seiner Three-minute- stand-Gespielin Donna Anna mit einem Klappmesser. Die Brutalität, die Don Giovanni eigentlich zuvor auch Donna Anna antut, fällt hier jedoch in Felsenstein-Tradition unter den Tisch: Sie hält ihn weniger der Bestrafung halber fest, sondern weil sie plötzlich ganz entflammt für ihn ist – nicht ganz plausibel, zumal Don Giovanni ja später neben Mord auch wegen seines gesamten schändlichen Treibens büßen soll. Stefanie Smits zeigt sich in dieser gewagten Deutung eines gar nicht so passiven Donna Ännchens allerdings mit überragender Präsenz, die die Fragwürdigkeit der Szene fast vergessen und vermuten ließe, daß sie mit Donna Elvira, die Don Giovanni bereits nach drei Tagen Ehe verließ, die Rollen getauscht habe. Wenn nur diese (Ulrike Sonntag) nicht mindestens ebensoviel Biß hätte. Denn eigentlich ist Donna Elvira die Frau der Tat, zumindest am Anfang noch, und als sie bei einer Panne mit ihrem Mountainbike neben einer Luftpumpe auch einen Revolver aus dem silbernen Rucksäckchen zaubert, da glaubt man ihr aufs Wort, daß sie damit den Treulosen entweder ins Jenseits oder aber zurück in ihre Arme befördern wird. Im Laufe des Abends wird sie allerdings zunehmend auf die knieende Pose reduziert, in der sie traurig mit gefalteten Händen den Himmel ansingt. Eine Note der besonderen Art wird jedoch der Rolle der Zerlina (Martina Janková) zuteil, die sich am Tage ihrer Hochzeit ein Tête- à-tête mit Don Giovanni gestattet: Die Szene, in der sie sich anschließend mit ihrem Verlobten zu versöhnen sucht, ihm ihren kreisenden Hintern entgegenstreckt, den Lederminirock langsam nach oben schiebt und dabei mit verdrehten Augen ihre „Schlag mich, schlag mich“-(„Batti, batti“)-Arie singt, gehört zu den Highlights des Abends. Janková, die sich innerhalb des ersten Akts zur Topform steigert, singt und spielt diese Arie mit einer perfekten Mischung aus Hinterhältigkeit und Naivität. Unterdessen spinnen sich die Fäden um Don Giovanni, der die Frauen durch ein Parlando von Treue und ein Motorradgespann mit Leopardenfellsitzen beeindruckt, enger zusammen. Nicht nur Donna Elvira ist ihm auf den Fersen: Der betrogene Bräutigam jagt ihn mit einer Baseballkeule. Vor allem aber taucht der Ermordete wieder auf: Reue soll Don Giovanni zeigen, aber weil der nicht weiß, was daran nach Frauen riechen soll, ist sein Ende – eingetütet in einen Müllsack – nicht mehr fern.
Christoph Hagel, der auch der Initiator des Projektes ist, hat das von ihm gegründete Hans-von-Bülow-Kammerorchester, das nie länger als ein paar Wochen zusammen spielen kann, auf ein beachtliches Niveau gebracht. Es gelingt den Sängern, die mehrheitlich bereits an internationalen Opernhäusern gesungen haben, die Begeisterung zu vermitteln, mit der diese Unternehmung zustande gekommen ist. Eine Emphase, die offensichtlich nur im Off-Theater möglich ist, aber auf einem Niveau, das das der üblichen Off-Produktionen bereits weit hinter sich gelassen hat. Das Publikum war denn auch nur bei der Regie geteilter Meinung, beklatschte aber dennoch die Premiere ganz ekstatisch: jeder für sich, mit mindestens 250 beats per minute.
„Don Giovanni im E-Werk“ bis zum 13. 9. 97 mittwochs und freitags bis sonntags, 20 Uhr
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