Bei Gewitter: Schnell die Stecker raus!

„Hacking In Progress“ mit Klebeband, Draht und Wäscheklammern: Auf einem Campingplatz nahe Amsterdam wurde am letzten Wochenende zum größten Hackertreffen Europas geladen  ■ Vom Zeltplatz Tilman Baumgärtel

Das hier könnte ein Pfadfinderlager sein – wenn das bläuliche Flimmern nicht wäre. Auf dem holländischen Zeltplatz Kotterbos stehen ein paar hundert ordentlich aufgebaute Zelte, die durch das seltsame Flimmern in ein fahles Licht getaucht werden, im abendlichen Halbdunkel brennen zusätzlich ein paar Fackeln. Die meisten Camper sind Jungs zwischen 15 und 25; Frauen sieht man kaum. Auch die Gespräche von Pfadfindern dürften anders klingen, als die kurzen Wortwechsel, die man hier aus dem Zelten hört: „Kannste mir mal'n Koaxkabel rüberlegen?“ ruft ein korpulenter Junge in schlabbrigem T-Shirt und mit Stirnband zum Nachbarzelt hinüber. „Nein“, antwortet ein hagerer Langhaariger mit Vollbart und Cowboyhut, „ich konfiguriere gerade meine Ethernet-Karte neu.“ So reden keine Pfadfinder, so reden Hacker. Auf dem Campingplatz, der eine halbe Autostunde von Amsterdam entfernt liegt, findet an diesem Wochenende das Hackertreffen „Hacking In Progress“ (HIP 97) statt.

2.500 Hacker sind auf den Flevo Polder zwischen Govimeer und Markermeer in der Nähe der Trabantenstadt Almere gekommen – die eine Hälfte aus Holland, die andere Hälfte aus der ganzen Welt: aus den europäischen Nachbarländern, aus den ehemaligen Ostblockländern, aus Indonesien, Hongkong, Kanada. Aus Japan reiste gleich „eine halbe Flugzeugladung“ an, wie Organisatorin Sjoera Nas erzählt. Die Cypherpunks aus den USA sind da, und natürlich auch ein ganzes Kontingent der wegen ihrer Skrupellosigkeit gefürchteten Hacker aus Bulgarien. Mit ihrem Computer unter dem einen Arm und dem Schlafsack unter dem anderen sind sie an diesem Wochenende in die Niederlande gereist.

„Daß das Ganze überhaupt funktioniert, ist eigentlich der wichtigste Grund, hierher zu kommen“, sagt der 19jährige Martijn aus Amsterdam und wuchtet seine Beine, die in olivgrünen Combat- Hosen stecken, auf die Tischplatte. Der Klapptisch vor seinem Wohnwagen biegt sich unter der Last von drei Computern. „Das ist total cool: Wir sitzen hier mitten in der Wildnis und surfen im Internet. Ich weiß zwar, wie das alles geht, aber manchmal wundere ich mich selbst, daß es klappt.“

Einen Briefkasten gibt es auf dem neuangelegten Zeltplatz weit und breit nicht, dafür werden stündlich mehrere Megabytes Daten in die ganze verkabelte Welt verschickt. Auch für „Hacking In Progress“ wurde keine einzige Einladung mehr gedruckt. Alle Informationen wurden digital im Internet verbreitet.

Vor dreißig Jahren war da, wo jetzt der Zeltplatz ist, nichts als Wasser. An diesem Wochenende haben die holländischen Hacker hier das größte, nicht-militärische Computernetzwerk der ganzen Welt aufgebaut. Weil die Telefonleitungen auf dem Polder nicht ausreichten, um die erwarteten 1.000 Computer zu vernetzten, richtete die holländische Telekom eine Satellitenverbindung zu dem Campingplatz ein. Von der grünen Satellitenantenne in der Mitte des Platzes führen nun fast zehn Kilometer Kabel zu den Zelten der HIP-Besucher. Sie sind mit Klebeband, Draht und Wäscheklammern aneinander gestöpselt. In kleine Iglus aus Fallschirmseide oder in den allgegenwärtigen weißen Vorgartenzelten hocken den ganzen Tag über kleine Grüppchen von Hackern in der brütenden Augustsonne und starren konzentriert auf die Computerbildschirme vor sich.

„Pißt nicht in die Büsche“, hatte die holländische Hackerlegende Rob Gonggrijp sie zu Beginn der Veranstaltung gewarnt. „Erstens fängt das nach ein paar Tagen an zu stinken, und zweitens könntet ihr die Kabeltrommel von jemandem treffen.“ In Deutschland ist Gonggrijp auch in Justizkreisen bekannt: Als Geschäftsführer des Internet-Providers „Xs4All“ wandte er sich gegen jegliche Zensurversuche im Internet und verbreitete virtuell Seiten der verbotenen Zeitschrift radikal.

Ein paar Tropfen auf eine Kabeltrommel ist allerdings nicht das Schlimmste, was hier passieren kann: „Wenn hier ein Blitz einschlägt, wäre das eine Katastrophe“, beschreibt einer der Systemadministratoren, der für das Netzwerk zuständig ist, das „worst case scenario“. „Wenn eine Leitung so eine große Ladung Elektrizität abbekommt, brennen alle 1.000 Rechner durch, die an unseren Kabeln hängen.“ Und was machen die Organisatoren, wenn sich ein Gewitter ankündigt? „Dann sprintet jeder, so schnell er kann, zu einem Netzknotenpunkt und versucht, so viele Kabel wie möglich aus den Steckern zu ziehen.“

Daß auf ihrem Campingplatz eine Bande Hacker ihrer Lieblingsbeschäftigung nachgehen würde, haben auch die Besitzer des Platzes erst einige Tage vor der Veranstaltung erfahren. Um die ganze Sache abzusagen, war es da schon zu spät, aber immerhin konnte man noch schnell die Platzordnung ändern. Jetzt ist Kotterbos wohl der einzige Campingplatz der Welt, auf dem es ausdrücklich verboten ist, in die Computer anderer Leute einzubrechen.

Aber auch die Veranstalter weisen nachdrücklich daraufhin, „daß HIP wahrscheinlich der ungeeignetste Ort der Welt ist, wenn man etwas Illegales mit Computern tun will.“ Während der gesamten Veranstaltung sind ununterbrochen zwei Beamte der holländischen Bundespolizei vor Ort, denen ebenfalls ununterbrochen ein Hacker mit einem Walkie-talkie folgt. „Wenn ihr wissen wollt, was in den Niederlanden verboten ist, fragt ihr am besten diese freundlichen Herren“, rät Hackerguru Gonggrijp einigen HIP-Gästen, bevor er wieder in Badelatschen und mit ans Ohr gepreßtem Handy über den Campingplatz fegt.

Wenn man den Hackern glauben darf, würden sie sowieso nie im Leben etwas tun, das verboten ist. Kein Hacker würde zugeben, daß er ein Hacker ist. Sobald die Kids merken, daß sie mit jemanden von der Presse sprechen, haben sie plötzlich alle Namen wie „Lost Boy“, „Damage“ oder „Crusher“, und auch eher wortkarge Jungs ergehen sich plötzlich in langatmigen Erläuterungen ihres „Hacker- Ethos“: Hackern ginge es gar nicht darum, Schaden anzurichten. Sie seien vielmehr Pioniere, die das neue Territorium des Cyberspace auskundschaften – also eigentlich doch auch Pfadfinder.

„Was Hacker tun, betrachte ich als Erforschung eines neuen Terrains, nicht als Verbrechen“, hat der amerikanische Cyberguru John Perry Barlow geschrieben. In den meisten Ländern Europas gibt es inzwischen jedoch martialische Gesetze gegen „Computereinbruch“. In den USA wurde der verhaftete Hacker Bernie S. im letzten Jahr sogar wie ein Schwerverbrecher in Isolationshaft gesteckt, weil er ein Handy so umgebaut hatte, daß er umsonst telefonieren konnte. „Dabei sollte die Industrie uns sogar dankbar sein“, sagt der 25jährige Dead Man aus Belgien. „Wir finden Fehler in deren Programmen, auf die die nie gekommen wären.“

Um seine Computer häufen sich leere Kartoffelchipstüten, und säuberlich in einer Reihe aufgebaute Gummibärchen warten darauf, verspeist zu werden. Außerdem stapelt sich fünf Dosen Jolt hinter seinem Monitor. Die US-amerikanische Limonade enthält doppelt soviel Koffein wie normale Cola und ist unter Hackern zum Kultgetränk geworden, weil sie dabei hilft, lange Nächte vor dem Computer zu überstehen.

„Wir sind das Materialprüfungsamt der Software-Industrie“, findet auch der 19jährige Obelix, der aus Tschechien nach Holland gekommen ist. „Hacker machen Computer nicht kaputt, im Gegenteil: sie machen sie sicherer.“ Nur mit seinem Laptop und Unterwäsche zum Wechseln, aber ohne Zelt stand er mitten in der Nacht am Flughafen von Amsterdam. Freundliche Holländer fuhren ihn schließlich zum Zeltplatz in der Mitte von Nirgendwo. Dort teilt er sich nun ein Zelt mit Don Alfonso aus Deutschland, den er in der selben Nacht kennenlernte. Jetzt sitzten sie bei gehirnabtötenden 35 Grad im Hauptzelt an einem Biergartentisch, starren zusammen auf den Computerbildschirm und saugen abwechselnd an einem Pfeifchen Haschisch.

Pedro aus Spanien sitzt etwas enttäuscht neben seinem aufgeschraubten Computer: „Ich wollte mich hier mit meinen Freunden aus Neuseeland treffen, aber ich kann sie nicht finden“, erzählt er und schiebt mit der linken Hand seine Computermouse auf dem Tisch herum. An seinem Gürtel hängt ein Handy, ein Pager und ein Etui mit Schraubenziehern. Im „wirklichen Leben“, wie die Hacker sagen, hat er seinen Freunden noch nie gegenübergestanden, aber im Internet kommunizieren sie schon seit Jahren miteinander. „Ich schicke ihnen die ganze Zeit E-Mails, aber sie haben noch nicht geantwortet. Dabei müßten sie schon lange hier auf dem Campingplatz sein.“ Hinter ihm sitzt seine Freundin Claudia und sieht seinen Rücken an. Frauen („Häxen“) sind bei der HIP in der Minderheit, und die anwesenden Exemplare dieses Geschlechts interessieren sich nicht mal für Computer.

Am selben Wochenende findet auch in New York ein Hackertreffen statt. Daß man zwischen „Beyond Hope“ in Amerika und „Hip 97“ in Europa eine Internet-Videoverbindung herstellt, ist Ehrensache. Nach einigem Gebastel erscheint auf der Leinwand im großen Zelt ein verschwommenes Bild von fünf Hackern aus den USA. „I am glad to be here with you“, grüßt einer von ihnen nach Holland, obwohl er in New York sitzt und es klingt, als würde er aus der Raumstation Mir zu uns sprechen. Doch die Entfernung ist egal. Wir sind ja alle vernetzt.

Die fünf Typen mit den Sonnenbrillen in New York setzten ihr schönstes Panzerknackergrinsen auf. „Wir haben eine kleine Überraschung für euch“, sagt einer und deutet auf den Computermonitor neben sich. Die Videokamera schwenkt auf den Bildschirm, auf dem die Internet-Seite von HIP zu sehen ist. Unten auf der Seite blinkt das Wort „owned“ (besessen) auf – ein Gruß, den Hacker hinterlassen, wenn sie einen Computer geknackt haben. Die fünf Amis haben es geschafft, den Internet-Computer der Europäer zu hacken. Tosender Applaus schallt ihnen aus dem Zirkuszelt entgegen. So zollen sich Hacker Respekt: Sie hacken sich gegenseitig in ihre Rechner.

Die Internetadressen der Hackertreffen: HIP 97 http://ww.Hip97.Nl

Beyond Hope http://ww.Hope.Net