: Mauern statt Menschen: ein Prozeßauftakt
■ Verfahren gegen Jugendliche aus Neuwiedenthal: Richter und Anwalt ungeliebt
„Die Gerichte sollen härter gegen jugendliche Gewalttäter vorgehen.“Allwöchentlich verbreitet CDU-Spitzenkandidat Ole von Beust seine Law-and-Order-Träume über die Medien. Auch in der Bürgerschaft beschwören die Christdemokraten regelmäßig ein Ansteigen der Ausländerkriminalität, streiten für geschlossene Heime für straffällige Jugendliche und gegen das Konzept „Menschen statt Mauern“. Nun stehen acht mutmaßliche jugendliche Gewalttäter aus Neuwiedenthal – sieben von ihnen nichtdeutscher Herkunft – vor dem Landgericht. Und vertreten will einen von ihnen just der rechtspolitische Sprecher der Law-and-order-Partei, Ralf-Dieter Fischer. Selbstgefällig verkündete er beim gestrigen Prozeßauftakt: „Ich kann Kenan K. gut verteidigen.“
Der 19jährige Türke ist da allerdings anderer Auffassung, wie er über den Anwalt seines Vertrauens, Dieter Magsam, kundtun ließ. Magsam warf Fischer vor, zu keinem Zeitpunkt versucht zu haben, der Vorverurteilung von Kenan K. in den Medien entgegenzuwirken. Der war im Beisein von Fotografen festgenommen und in der Boulevardpresse wiederholt abgebildet worden. Er soll der Gang angehören, die in Neuwiedenthal Jugendliche bedroht und um Geld und Klamotten erpreßt haben soll. Anfang Februar kamen die Vorgänge ans Licht, als der 17jährige Mirco Selbstmord beging und in seinem Abschiedsbrief auf die Erpressungen hinwies. (taz von gestern).
An seinen ungeliebten Advokaten geriet Kenan K. durch seinen Vater, der Fischer aus einer Verkehrsstrafsache kannte. Als der junge Türke dann erfuhr, daß er es bei seinem Rechtsanwalt mit dem Abgeordneten der Partei zu tun hat, „zu deren Wahlkampfarsenal dumpfe Sprüche über Ausländerkriminalität gehören“(Magsam), wollte er Fischer von seinem Mandat entbinden. Der jedoch bleibt stur. Nun muß das Gericht entscheiden.
So verging der erste Prozeßtag, indem zunächst die Weichen gestellt wurden, wer an dem Verfahren überhaupt teilnehmen wird. Denn noch ehe auch nur die Anklage verlesen wurde, handelte sich der Vorsitzende Richter Günter Bertram einen Befangenheitsantrag ein. Im März hatte Bertrams Große Strafkammer ihn übernommen. Mitte Juni schrieb der Richter einen Leserbrief an das Hamburger Abendblatt. Darin bezeichnete er es als unverantwortlich, jugendliche Intensivtäter „weiterhin im kriminellen Milieu herumvagabundieren zu lassen“. Hamburg habe unter der Parole „Menschen statt Mauern“geschlossene Heime abgeschafft, die Bertram in seinem Brief als „etwas Passendes“anpreist.
Der Prozeß wird morgen fortgesetzt. Elke Spanner
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