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Die Saat der Politik vom „Teile und herrsche“

■ Mit dem übereilten und planlosen Abzug aus Britisch-Indien machte sich London mitschuldig an der Gewalt, die mit Indiens und Pakistans Unabhängigkeit einherging

Berlin (taz) – Die Entstehung der unabhängigen Teilstaaten Indien und Pakistan, die 1947 die Nachfolge Britisch-Indiens antraten, war ein Verbrechen. Es ist in der jüngeren Weltgeschichte insofern einzigartig, als daß dafür niemand, nicht einmal politisch, zur Rechenschaft gezogen worden ist.

In den 20er und 30er Jahren wuchs in Indien eine immer selbstbewußtere Unabhängigkeitsbewegung, die sich gegen die britischen Kolonialherren richtete, jedoch auf deren Freiheitswerte berief. Je stärker ihre Führer Jawaharlal Nehru und Mahatma Gandhi wurden, desto kompromißloser wurden sie. Die Briten reagierten rein defensiv, vor allem nachdem 1935 ihre Pläne zur Gewährung begrenzter Selbstverwaltung abgelehnt wurden. Im Zweiten Weltkrieg kam der Bruch. Während zwei Millionen Inder im Ausland für die Alliierten kämpften, schlugen die Briten in der indischen Heimat Aufstände nieder. London ließ über eine Million Menschen in einer der schlimmsten Hungersnöte der Geschichte sterben, weil Schiffe für den Krieg statt für Lebensmittelimporte eingesetzt wurden. Danach war klar: Die Zeit der Briten war abgelaufen. Die 1945 gewählte Labour-Regierung hatte nur noch das Ziel, Indien schnellstens zu verlassen. Zugleich hatten sich in Indien die religiösen Gegensätze verschärft, genährt von der britischen Macht, die nach dem imperialen Modell des „Teile und herrsche“ vorging. Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatte ein britischer Gouverneur die größte indische Provinz Bengal in einen Hindu- und einen Muslimteil gespalten, um den gärenden indischen Nationalismus zu schwächen.

Bei Wahlen zu einer verfassunggebenden Versammlung im Winter 1945/46 wurde die Spaltung offenkundig: In den Gebieten der 220 Millionen Hindus gewann Nehrus Indischer Nationalkongreß; in den Gebieten der 95 Millionen Muslime siegte meist die Muslim-Liga unter Jinnah. Ab August 1946 verging kein Tag ohne tödliche Zusammenstöße zwischen Hindus und Muslimen.

Die britische Absicht, Indien schnellstmöglich sich selbst zu überlassen, stärkte extremistische Tendenzen unter Indiens politischen Führern. Am 20. Februar 1947 erklärte die britische Regierung, sie werde bis Ende Juni 1948 Indien in die Unabhängigkeit entlassen, ohne dafür ein klares Konzept zu haben. Da wußte jeder indische Politiker, daß Großbritannien Indien zwischen Hindus und Muslimen aufteilen wollte.

Um den britischen Abzug zu vollstrecken, ernannte London im März 1947 den Urenkel von Queen Victoria, Louis Lord Mountbatten, zum neuen Vizekönig von Indien. Er hatte sich als Kommandeur der britischen Truppen in Südostasien gegen Ende des Zweiten Weltkriegs einen Ruf als Genußmensch und Prahlhans erworben. Am 3. Juni verkündete Mountbatten überraschend: Am 14. August um 24 Uhr wird die Macht an zwei Teilstaaten übergeben – Indien und Pakistan. Mountbatten wählte dieses Datum, weil es der zweite Jahrestag der japanischen Kapitulation 1945 war. Nach fast 350 Jahren britischer Präsenz, während derer Millionen Inder durch britische Hände gestorben waren, gab sich das Empire nun gerade 73 Tage, um nach Hause zu gehen.

Ein Londoner Jurist, Cyril Radcliffe, der noch nie in Indien gewesen war, bekam die Aufgabe, innerhalb von nur 40 Tagen die indisch-pakistanische Grenze zu ziehen. Schon damals war klar, daß die Teilung des Punjab im Westen und Bengals im Osten extrem schwierig werden würde und jede Fehlentscheidung Menschenleben kostete. Für Volksabstimmungen war die Zeit ohnehin zu knapp. Vorschläge indischer Politiker, in gemischten Gebieten eine friedliche Teilung der Bevölkerungsgruppen zu organisieren, verhallten wirkungslos.

In seinem Bericht schrieb Radcliffe, eine für alle annehmbare Teilungslinie gebe es nicht, also müsse er eine aufzwingen. Um Unruhe zu vermeiden, beschloß die britische Verwaltung, die endgültige Grenze erst nach der Unabhängigkeit bekanntzugeben. Noch um den 12. August wurden wesentliche Militärstützpunkte im Punjab zwischen den geplanten Staaten hin und hergeschoben.

Die Pogrome gegen Muslime in indischen Gebieten und gegen Hindus in muslimischen Regionen wurden immer intensiver. Im Juli beschloß die britische Verwaltung insgeheim, nach der Unabhängigkeit keine britischen Truppen mehr einzusetzen. Das britische Empire sah sich nicht mehr in der Lage, Menschenleben in Indien zu schützen. Mountbatten versprach London und der indischen Öffentlichkeit, Gewaltausbrüche erbarmungslos niederzuschlagen.

Indien und Pakistan wurden in der Nacht zum 15. August als Phantomstaaten unabhängig, ohne festgelegte Grenzen, ohne Armeen und mit Millionen verängstigter Bewohner in den umstrittenen Gebieten, die nicht wußten, unter welchen neuen Herren sie aufwachen würden. Nach der Veröffentlichung der Teilungspläne setzten massive Völkerwanderungen und Vertreibungen ein. Ein Staatswesen, das damit hätte umgehen können, existierte nicht. Die noch verbliebenen britischen Soldaten begnügten sich damit, Leichen einzusammeln. 12 Millionen Menschen verloren ihre Heimat, eine halbe bis eine Million Menschen starben.

Für die britische Öffentlichkeit war die Sache klar: Kaum überläßt man die Inder sich selbst, schlachten sie einander ab. Die Hintergründe erfuhren die Briten nicht. Mountbatten kehrte zufrieden nach London zurück.

Als er am 27. August 1979 bei einem IRA-Bombenanschlag starb, betrauerte Großbritannien ihn als Nationalhelden. Dominic Johnson

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