: Schlappe für den Staatsanwalt
■ Erster Prozeß gegen Autonomenblatt „Interim“ gescheitert
Berlin (taz) – Mit einer Schlappe für die Staatsanwaltschaft endete gestern der erste Prozeß gegen die autonome Zeitschrift Interim. Das Amtsgericht Tiergarten sprach zwei Hamburger Buchhändler vom Vorwurf frei, sich durch den Verkauf eines Interim-Exemplars der Aufforderung zu Straftaten schuldig gemacht zu haben. In der betreffenden Ausgabe der Nummer 399 war eine Anleitung zum Bau eines Brandsatzes abgedruckt. Zum Prozeß war es gekommen, nachdem die beiden Buchhändler Widerspruch gegen einen Strafbefehl in Höhe von 3.200 Mark eingelegt hatten.
Als überaus versierter Interim- Leser hatte der Hamburger Polizeibeamte Wolfgang Ludwig den Eifer der Ermittler in Gang gesetzt. Ludwig hatte sich am 4. Dezember 1996 in der Buchhandlung Osterstraße die betreffende Nummer der Interim gekauft. Bevor Ludwig gestern in den Zeugenstand gerufen werden konnte, mußte er sich allerdings erst einer ausführlichen Gesichtskontrolle unterziehen. Die Anwälte der Angeklagten hatten zuvor die Identität des Zeugen in Zweifel gezogen und die „Inaugenscheinnahme“ seines Personalausweises verlangt. Und siehe da: Das Paßbild von Ludwig und sein aktuelles Erscheinungsbild zeugten, wie selbst der Vorsitzende Richter einräumte, nicht gerade von „frappierender Ähnlichkeit“. Auf die Frage, ob er denn von seiner Dienststelle „präpariert“ worden sei, gab der mit einer überaus prächtigen Haartracht und Rauschebart versehene Ludwig zu, sich anläßlich des Prozesses verkleidet zu haben.
Aber auch inkognito konnte der Polizeibeamte Ludwig sich nicht daran erinnern, in einer der anderen Interim-Ausgaben, die er regelmäßig gekauft hatte, einen strafbaren Inhalt entdeckt zu haben. O-Ton Ludwig: „Die ,Interim‘ setzt sich normalerweise kritisch mit aktuellen Fragen der Gesellschaft auseinander.“ Selbst für den Staatsanwalt war damit kein Anhaltspunkt mehr dafür vorhanden, daß die beiden GeschäftsführerInnen des Buchladens Osterstraße vom strafbaren Inhalt der betreffenden Kenntnis gehabt haben könnten. Er beantragte daraufhin Freispruch.
Als „peinliche Panne der Justiz“ bezeichnete der Hamburger Rechtsanwalt Sven Lausen die Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft. Er frage sich, warum er deshalb nach Berlin habe fahren müssen. Sein Berliner Kollege, der Verteidiger Sven Lindemann, sagte, die Ermittlungswut der Berliner Anklagebehörde gehe offenbar soweit, daß sogar der Umweg eines verdeckten Ankaufs in Hamburg zur Kriminalisierung der Interim in Kauf genommen wurde. Uwe Rada
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