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Kein Vertrauen mehr in die Koalition

■ ÖTV: Landesregierung hält nicht, was sie den Wasser- trieben versprach. ÖTV-Chef ruft zu Widerstand auf

Die Große Koalition hat gestern den größten Glaubwürdigkeitsverlust seit ihrem Regierungsantritt erlitten. Bei der Personalversammlung der Wasserbetriebe deckten ÖTV und Gesamtpersonalrat gnadenlos die „Märchenerzählungen“ von SPD und CDU auf. Erst im Dezember hatten mehrere Koalitionspolitiker den rund 7.000 Beschäftigten versprochen, daß die Wasserbetriebe eine Anstalt des öffentlichen Rechts bleiben. In der Deutschlandhalle mußten sie gestern nun kleinlaut eine Kehrtwende offenbaren: Das investitions- und innovationsfreudige Unternehmen soll eine Aktiengesellschaft werden. Die Halle bebte vor Protest.

Vor Beginn der Veranstaltung spielte der Personalrat vom Tonband „Märchen“ ab. „Ihre Wasserbetriebe sind eine Anstalt des Öffentlichen Rechts, und sie müssen es bleiben“, lautete etwa der Mitschnitt von Wirtschaftssenator Elmar Pieroth (CDU). Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU, Volker Liepelt, äußerte sich so: Eine Rechtsformänderung sei „mit der CDU nicht zu machen“. Und Klaus Böger, SPD-Fraktionschef, sagte: „Die Rechtsform der Anstalt, das wird bleiben.“

Gestern, knappe acht Monate später, hörte sich das ganz anders an. Klaus Böger gestand vor mehreren tausend WasserwerkerInnen, „daß sich meine Aussage über die Anstalt des öffentlichen Rechts nicht halten läßt“. Die Finanzsituation des Landes habe sich dramatisch zugespitzt, erklärte Böger. Und die Wasserbetriebe „gehören nicht allein denen, die dort arbeiten“. Klaus Landowsky versuchte es erneut mit Versprechungen: „Ich stehe im Konfliktfall auf der Seite der Betroffenen.“ Und Elmar Pieroth erläuterte, was der Senat beschlossen habe: erstens eine „Veränderung der Eigentümerstruktur“ (sprich: den Verkauf von Anteilen an den Wasserbetrieben) und zweitens eine Veränderung der Rechtsform (sprich: die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft). Beides werde aber nur im Einvernehmen mit Geschäftsführung und Belegschaft geschehen, versprach Pieroth. Alle drei Koalitionspolitiker mußten Pfeifkonzerte über sich ergehen lassen.

Allein die Oppositionsvertreter Wolfgang Wieland (Bündnis 90/ Die Grünen) und Petra Pau (PDS) erhielten Beifall. Der grüne Fraktionssprecher sagte, seine Partei habe stets davor gewarnt, daß die Koalition die Anstaltslösung nur als „eine Übergangsform“ zur Privatisierung angesehen habe. ÖTV- Chef Kurt Lange beeindruckte das wenig. „Auf den Senat, auf die Herren Pieroth, Landowsky und Böger, auf die Grünen und die PDS können wir nicht zählen. Wir können uns nur auf uns selbst verlassen“, heizte Lange die Stimmung in der Deutschlandhalle an. Der Vorsitzende von 130.000 ÖTVlern rief zum Widerstand gegen Arbeitsplatzabbau durch Privatisierung auf. „Wir sind nichts!“ rief der „König Kurt“ genannte Gewerkschafter, „wenn ihr nicht auf die Straße geht.“ Christian Füller

Bericht Seite 2

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