Der homosexuelle Mann... Von Elmar Kraushaar

...muß einer Glaubensgemeinschaft angehören, einer Sekte vielleicht oder einem Geheimbund. So jedenfalls ist es zu vermuten, wenn man immer häufiger die Formulierung liest: „Er ist ein bekennender Homosexueller“. Homosexuelle Menschen, vorwiegend Prominente, die es sich erlauben, ganz normal ihr sogenanntes Privatleben zu erwähnen, sind Bekennende. Wie Gianni Versace beispielsweise oder Wilhelm Wieben oder Ivan Rebroff. Nur Wolfgang Joop toppt den Trend und ist ein „bekennender Bisexueller“.

Wo das Bekenntnis ist, ist die Lüge nicht weit. Die Zahl derer, die abgestandene Märchen erzählen über ihr Liebes- und soziales Leben, ist ungleich größer als die der „Bekennenden“. Der diskriminierende Umgang mit Homosexuellen zwingt viele Prominente zu einem lächerlichen Affentheater und bringt sie gar dazu, sich öffentlich als „Heterosexuelle“ zu deklarieren. Die Liste derer, die diesen Weg beschreiten, ist lang: die Schauspieler Troy Donahue, Richard Gere, Burt Reynolds, Tom Selleck oder Thomas Fritsch, die Sänger Jürgen Marcus, Jason Donovan, Rex Gildo, Freddy Quinn, Karel Gott, Cliff Richard oder Michael Jackson, der Sportler Carl Lewis, der Regisseur Blake Edwards, der General a.D. Günter Kießling, der CDU-Politiker Matthias Wissmann – und viele mehr. So manch einer widersprach zu Recht böswilligen Gerüchten, und so viele Lügner sind unter ihnen.

Die Strategien zur Vorspiegelung eines richtigen Lebens im falschen sind immer die gleichen: Man stellt sich eine Frau zur Seite, die sogenannte „Sandprinzessin“, und die Illusion ist perfekt. Besondere Aufmerksamkeit ist geboten, wenn die Angesprochenen den ganz Souveränen mimen: „Natürlich bin ich nicht schwul“, tröten sie ins Reportermikro, „und – glauben Sie mir – wenn ich es wäre“, und schauen dabei dem Journalisten tief in die Augen, „ich hätte keine Probleme, darüber zu sprechen.“ Und später am Abend trifft man sie wieder an irgendeiner Bar einer versteckten Stricherkneipe.

Bei soviel Schmierentheater wähnt man sich in den Zeiten tiefster Verfolgung. Dabei stehen wir kurz vor der Jahrtausendwende, und die Mär von glücklichen Gays im luxuriösen Ghetto gehört zu den Standards der Medien. Da drängen sich die Fragen auf: Warum herrscht weiter die Angst? Warum lassen Schwule sich aufteilen in „Bekenner“ und Lügner? Die heterosexuelle Öffentlichkeit hat ihren Anteil an der verfahrenen Situation. Die abwehrende Floskel: „Ich binde doch auch nicht jedem mein Privatleben auf die Nase!“, stopft jedem umgehend das Maul, der auf seinem Anspruch nach Anerkennung und Respektierung seiner Lebensweise besteht. Die Aufforderung, daß Homosexuelle tunlichst in ihrem Schrank bleiben sollen, gleicht einer magischen Beschwörung: So als sei die vorgestellte Perversion zu beseitigen, wenn man sie nur trennt von identifizierbaren Personen. Täglich dem seriösen Tagesschausprecher in die Augen zu schauen, von dem man weiß, er ist schwul, läßt sich ungleich unschwerer aushalten, als anonyme Homosexuelle in irgendeinem finsteren Milieu zu vermuten. Die Sprachregelung vom „bekennenden Homosexuellen“, die sich so liberal gibt und so fortschrittlich, hält an diesem System der Unterdrückung und des Schweigens fest.