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Ein ganz eigenes Gärtchen

Die weltweit größte Zeitschrift wird auch in Deutschland von Millionen gelesen. Aber wer oder was ist eigentlich „Das Beste“? Und ist es womöglich besser geworden? Ein Versuch, Antworten zu finden  ■ Von Christoph Schultheis

Irgendwo in dieser Republik hängt ein Briefkasten. Er gehört einem Rentnerehepaar. Weit über zehn Jahre schon findet sich darin Monat für Monat ein rund 200 Seiten starkes DIN-A5-Heftchen. Ab und an versuchen sich die beiden Briefkastenbesitzer am englischsprachigen Originaltitel ihres Abonnements und sagen „Ridsches Deist“, meist aber nennen sie die Zeitschrift schlicht „Das Beste“. So steht es ja auch auf dem Titelblatt.

Reader's Digest – Das Beste liegt auch am Kiosk, aber nicht jeder Kioskbesitzer weiß, wo. (Bei Disney's Lustigen Taschenbüchern nachschauen!) Doch ist den Zeitschriftenverkäufern daraus kein Vorwurf zu machen, schließlich wandern über 90 Prozent der knapp anderthalb Millionen verkauften Exemplare direkt in die Hausbriefkästen der Abonnenten. Und von dort aufs Beistelltischchen, aufs Nachtschränkchen und ins Bücherbord, bis sie eines Tages, leicht abgegriffen, die Altentagesstätten im Lande bestücken.

Und wessen Menschenbild nicht schon von Kindesbeinen an durch Rubriken wie „Ansichten und Einsichten“ oder „Menschen wie du und ich“ geprägt wurde, mag der Zeitschrift dennoch irgendwann einmal auf dem Trödelmarkt begegnet sein, wo sich zumeist komplette Jahrgänge aus den Kartons ergießen. Schwer vorstellbar jedenfalls, daß selbst Nicht-Abonnenten gar nichts wissen von den 10-Punkte-Ratgebern zu Gesundheit, Haustier- und Kinder-Erziehung, den Sportlerinnen- Porträts und Reisereportagen und den Reader's Digest-typischen Glossen und Geschichtchen aus dem New York Times Book Review vom 11. Juni 1989 oder auch den Hongkong Bank of Canada's Pioneer News“ vom Februar 1994. Beides in der aktuellen August- Ausgabe.

Hinzu kommen gut 40 Seiten Werbung, in der die „Schule des Schreibens“ und „Bundeswertpapiere“ ebenso ihr Plätzchen finden, wie die elektrisch stufenlos verstellbare Badezimmer- und Toilettensitz-Hilfe „Clos o med Lift“.

Das Beste sei eben eine „Wundertüte“, sagt der 38jährige Chefredakteur Christoph Fasel, der erst im letzten November vom Hamburger Stern in die Stuttgarter Augustenstraße wechselte, wo Das Beste gleich neben der „Orthopädischen Schuhtechnik Oesterle“ residiert.

Ebenso wie die Reader's Digest Association Inc. in Pleasantville/ New York macht auch die deutsche Tochtergesellschaft der mit 48 Ausgaben in 19 Sprachen und 100 Millionen Lesern meistgelesenen Zeitschrift der Welt ihren Umsatz (1996: 594 Millionen) zum Großteil durch den Verkauf von sogenannten „Auswahlbüchern“, von Musical-, Country- und Schlager- CDs und was der Home-Order- Markt sonst noch alles an Geschenkideen feilbietet.

Für ein Viertel des Umsatzes ist die Zeitschrift zuständig, und Fasel und seine nur 18köpfige, überraschend junge Redaktion tun das ihre, um Das Beste noch besser zu machen. Schließlich schreibt die Zeitschrift mit der siebenstelligen Auflagenzahl sechsstellige Auflagenverluste. Solche jedenfalls attestiert das Branchenblatt Kress-Report dem Heft, „das schon unseren Eltern zu altmodisch war“, fürs erste Quartal 97. Seit April sind es mit 1,36 Millionen nochmals 100.000 weniger geworden. Trotz dieses Leserschwunds hält Chefredakteur Fasel eine Auflage um die 1,4 Millionen auch zukünftig für „eine realistische Größe“.

Für die wichtigen Anzeigenkunden macht man aus der gesetzteren angegrauten Leserschaft – über die Hälfte ist älter als das Heft – einfach eine junggebliebene Truppe. Schließlich gibt es ja auch unter den Fünfzigjährigen dufte Typen, wie die Werbeabteilung vorrechnet: „Bill Clinton, Cher oder Udo Lindenberg“. Leitfiguren der „Aktiven Mitte“, die nur darauf wartet, das Gesparte endlich loszuwerden.

Doch so ganz traut man der Treue der gesetzten Leserschaft wohl doch nicht und schielt auf die 35jährigen. In ihnen sieht Fasel mit Blick auf die Alterspyramide die Dauerabonnenten von morgen: „Das wächst uns doch entgegen!“

Und deshalb kommt nun auch ab und an mal eine Reportage über das Berliner Nachtleben ins Blatt: „Klubs – auf der Suche nach dem Techno-Geist“. Doch den sucht auch die Redaktion noch vergeblich. Leseprobe: „Zuerst irritiert die Tänzer das rhythmische Schlagen der Baßtrommeln im Viervierteltakt. Dann fangen sie an, sich zu bewegen. Die Körper nehmen die Musik auf, zucken wie von selbst, werden eins mit der Musik.“

Und dann war da noch die Sache mit der Colonia Dignidad: Im letzten Mai, „also kurz bevor die Geschichte so richtig hochkochte“, hatte Fasel eine Reportage über das „umstrittene Sektencamp“ im Blatt. Fasels ganz persönliches Watergate, mit dem er es gleich zweimal ins Sat.1-Frühstücksfernsehen schaffte.

Nur die Fotos mißhandelter chilenischer Kinder wollte man in Stuttgart nicht drucken, „um dem Voyeurismus keinen Vorschub zu leisten“. Denn das philanthropisch orientierte Blatt verwehrt sich laut Fasel gegen „zeitgeistiges Genöle, unzusammenhängende Urschreie und gemachte Sensationen, nur um der Sensationen willen, die den Leser erschüttern und unorientiert zurücklassen“. Schließlich habe Das Beste „ein ganz zentrales Anliegen: ein Freund der Familie zu sein“.

Doch ein bißchen mehr will man doch. Nämlich „reinwildern ins klassische Revier der Wochenzeitungen und -magazine“. Schon jetzt positioniert Chefredakteur Fasel, der schon die Kinderzeitschrift Eltern mitentwickelte, das „ganz eigene Gärtchen, das wir da beackern“ zwischen Geo und – man höre und staune – Spiegel, Focus und Stern.

Für die Zeit nach der Jahrtausendwende spekuliert man bei Das Beste sogar auf den möglichen „Kultstatus“ der Zeitschrift. Einen Begriff also, mit dem die dereinst 50jährigen vielleicht tatsächlich etwas anfangen können. Mithin seien, so Fasel, ja auch die hier und heute 50jährigen nicht mehr dieselben wie vor 50 Jahren, als Reader's Digest in der weiten Welt die wirtschaftswundersamen Nachkriegswirren und die Nachkriegswirren selbst Reader's Digest's weite Welt im handlichen Westentaschenformat für sich entdeckten.

Doch seitdem nach 1989 auch der ostdeutsche Markt Das Beste abzugreifen und wieder abzubestellen wußte, bleibt den Stuttgartern beim Leserfang nur noch die „nutzwertorientierte Neuausrichtung“: Der Anteil eigener redaktioneller Beiträge (derzeit schon/ nur 50–70 Prozent) soll weiter erhöht, die an sich schon recht passable Online-Ausgabe (http:// www.dasbeste.de) ausgebaut werden. Auch das jahrzehntelang sträflich vernachlässigte Layout wird modernisiert. Außerdem gebe es bis zum „qualitativ höherwertigen Auftritt“ im Jubiläumsjahr 1998 noch die eine oder andere Überraschung. Ob damit allerdings auch schon die kürzlich angekündigte Umstrukturierung des Verlages samt möglicher Stellenkürzungen gemeint ist, sei dahingestellt.

Auf jeden Fall bleiben wird das einzigartige DIN-A5-Format. Das hat laut Fasel „institutionellen Charakter. Stellen Sie sich vor, man gösse Coke in eine Weinflasche.“

Bleibt die Frage nach dem Titel, mit dem sich hierzulande solch „inspirierendes Infotainment“ verkaufen ließe. Doch auch „Das Beste“ ist zumindest Fasel gut genug: „Ich finde den Titel genial! Er hat nur einen Nachteil: Er besteht aus zwei Wörtern“. Da ist Focus anders.

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