: Zwischen Nashörnern
Auf der internationalen Buchmesse in Harare darf jeder ausstellen – lieber der Produzent der neuen Häckselmaschine als die Schwulen ■ Von Kordula Doerfler
Die Stände stehen zwischen überlebensgroßen Eisennashörnern und Steinskulpturen. Im afrikanischen Frühling fangen die subtropischen Sträucher und Bäume gerade an, verschwenderisch zu blühen. Darüber spannt sich ein zartblauer, wolkenloser Himmel. Geruhsam läßt sich herumflanieren, an den Ständen ist ein Plausch fast unvermeidlich. In den letzten Jahren hat sich die Buchmesse in Harare immerhin zur größten ihrer Art südlich der Sahara gemausert. Diesmal waren es 270 Aussteller aus 53 Ländern – ein neuer Rekord. Erstmals waren mehr afrikanische Länder vertreten als auf der Frankfurter Buchmesse.
Ein buntes Gemisch aus Menschenrechtsgruppen, Ländervertretungen und Verlagen trifft in Harare zusammen. Dazwischen wird afrikanisches Kunsthandwerk zum Verkauf angeboten und eine neue Erfindung: eine Maschine, die Körner kleinhäckselt. Der Albino-Verband von Simbabwe wirbt um Verständnis, Menschenrechtsgruppen verteilen Aufklärungsmaterial über Rechtshilfe bei Vergewaltigung und Inhaftierung.
Zuwenig Buch, zuviel Drumherum, klagt ein Besucher aus Großbritannien. Er tut der Messe damit unrecht. In einem politisch erstarrten Land wie Simbabwe, dessen öffentliche Kultur von Befreiungsmythologie, Parteipropaganda und Personenkult geprägt ist, in dem eine Zivilgesellschaft nur in Ansätzen existiert, hat die Buchmesse weit mehr als eine literarische Funktion. Die Ausstellung ist auch zu einem Forum für Menschenrechte geworden – zum Gradmesser für die Empfindlichkeit der Regierung unter Robert Mugabe, dessen Partei Zanu-PF das Land seit der Unabhängigkeit 1980 fest im Griff hat.
„Hier kann jeder herkommen“, sagt Trish Mbanda, die Direktorin der Messe. Das führt dazu, daß etwa die Botschaft von Nigeria einen eigenen Stand betreiben und die „Wahrheit“ über den regimekritischen Schriftsteller Wole Soyinka unters Volk bringen darf. Das hat Simbabwe auch einen Skandal beschert, der internationales Aufsehen erregte. Vor zwei Jahren hatte der bis dahin über die Landesgrenzen hinaus kaum bekannte „Schwulen- und Lesbenverband von Simbabwe“ (Galz) erstmals einen Stand auf der Ausstellung und verteilte harmlose Literatur über Aids-Aufklärung. Robert Mugabe, das letzte stalinistische Fossil in Afrika, beschimpfte Homosexuelle öffentlich als „Perverse“, „Sodomiten“ und „niedriger als Schweine stehend“. Am Ende erreichte der Präsident das Gegenteil des Gewünschten: das Thema wurde weit über die Landesgrenzen hinaus debattiert.
Homosexualität ist in afrikanischen Gesellschaften – mit Ausnahme von Südafrika – ein gesellschaftliches Tabu und in den meisten Ländern verboten. Mugabe ist kein Einzelfall, wenn er sie als „unafrikanisch“ und von westlichen Kolonisatoren eingeschleppt geißelt. Die Ressentiments sitzen tief.
Nur mit Verunglimpfung ist dem jedoch nicht mehr beizukommen. Galz beherrschte die Buchmesse auch ein Jahr später, während die Regierung noch mit den Gerichten um ein Verbot stritt. Die überraschend unabhängige Justiz von Simbabwe sah keinen Grund, der Organisation einen Stand zu untersagen. Dort kam es im vergangenen Jahr gar zu tätlichen Auseinandersetzungen, die die Homosexualität erneut in den Mittelpunkt rückten – sehr zum Unwillen der Veranstalter, deren Liberalität Grenzen hat.
In diesem Jahr ersparte ihnen Galz eine Wiederholung – freiwillig. „Wir sind so beschäftigt mit anderen Projekten, daß wir die Messe nicht mehr so wichtig fanden“, sagt Galz-Aktivist Keith Goddard. Ihr Material liegt am Stand für Menschenrechte aus. Er verschweigt, daß die Organisation nach reichlichen Spenden von Geberländern aus dem Norden hoffnungslos zerstritten ist. Das Thema Homosexualität hat sich scheinbar in Luft aufgelöst. Kein Stand, keine Literatur und kein Verfahren gegen Mugabes Vorgänger Canaan Banana. Rein zufällig sollte dem zu Beginn der Messewoche der Prozeß gemacht werden: wegen Homosexualität und sexuellen Mißbrauchs von Abhängigen während seiner Amtszeit in den 80er Jahren.
Ganz still wurde das Verfahren vertagt. Stattfinden aber wird es. Das ist eine kleine Sensation und bringt die Regierung in Nöte. Ein afrikanischer Staatsmann, international angesehener Theologe und Vater von vier Kindern, der sich der unafrikanischen Straftat Homosexualität schuldig gemacht hat? Mugabe ließ Banana vorerst fallen – und schwieg. Doch die Regierung ist nervös. Ihr größtes Verlautbarungsorgan, die Tageszeitung The Herald, wechselte nach enthusiastischer Auftaktberichterstattung zur Buchmesse plötzlich den Ton. Die Messe solle bitte schön an ihre Anfänge zurückkehren – zum Buch, einem wichtigen Bestandteil afrikanischer Kultur.
Das ist kulturgeschichtlich Unsinn und zudem eine unverhohlene Drohung. Denn in den 80er Jahren hatte die Buchmesse als staatlich gelenkte Veranstaltung des Informationsministeriums begonnen. Einen Tag später setzte die Zeitung noch eins drauf und verbreitete eine bewußte Falschmeldung. Galz habe doch einen Stand, hieß es darin. Damit gibt sie denen Recht, die sagen, das Thema sei in Simbabwe nicht mehr totzuschweigen.
Jenseits des innenpolitischen Sprengstoffes der Ausstellung aber geht es auch in Harare ums Buch. Vor allem für afrikanische Autoren, Verleger und Buchhändler, die sonst auf dem Kontinent kaum miteinander kommunizieren können, ist die Messe ein wichtiger Treffpunkt. Einmal im Jahr kann man wenigstens direkt miteinander sprechen, im Zeitalter der immer schneller werdenden Kommunikation in Afrika immer noch fast unmöglich. Denn dazu bedürfte es zumindest funktionierender Telefonnetze.
Überhaupt: Afrika und Bücher? Der Kontinent mit der höchsten Analphabetenrate, in dem nur 15 Prozent aller Mädchen und 22 Prozent aller Jungen eine weiterführende Schule besuchen (zum Vergleich: in Europa sind es 91 bzw. 93 Prozent)? Wo bitte wird in Afrika gelesen? Gerade dort, lautet die Antwort, in den Schulen und auf den Universitäten nämlich. Entsprechend hoch ist der Anteil von Lehrbüchern auf der Buchmesse. Die meisten Verlage in Afrika verdienen damit ihr Geld, Literatur wird meist nur „nebenher“ verlegt. Romane und Gedichte sind ein Luxus, der in der Regel den gebildeten Eliten vorbehalten bleibt.
Für die großen Verlage aus Europa und den USA ist die Buchmesse ebenfalls ein wichtiges Forum geworden. Die Frankfurter Buchmesse betrieb auch diesmal einen Gemeinschaftsstand für mehrere Dutzend Verlage. „Wer sich für afrikanische Literatur interessiert, muß auch nach Afrika gehen“, sagt Peter Ripken, zugleich Geschäftsführer der „Gesellschaft zur Förderung der Literatur in Afrika, Asien und Lateinamerika“. Geschäfte machen die deutschen Verlage in Harare kaum, viel mehr geht es darum, präsent zu sein und neue Talente zu finden, die für eine Übersetzung in Frage kommen.
Neben dem Riesen Südafrika hat vor allem das Gastgeberland Simbabwe eine bemerkenswert entwickelte Verlagskultur. Der wichtigste unabhängige Verlag des Landes, Baobab, bringt immer wieder Autoren heraus, Sein neustes Talent, die junge Yvonne Vera, ist der Star der diesjährigen Messe, nachdem ihr jüngster Roman, „Under The Tongue“, den Verlegerpreis von Simbabwe gewann. Das Foyer ihres Hotels kann sie kaum betreten, ohne daß enthusiastische Autogrammjäger (aus Europa) sich auf sie stürzen. Die zahllosen Interviewwünsche seitens der Medien überfordern sie. Auf die Idee, nach der Preisverleihung eine Pressekonferenz zu halten, ist niemand gekommen. Vielleicht nächstes Jahr.
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