■ Vorschlag: Gute Idee: Umziehen! Vielleicht ist's ja woanders doch noch viel besser
Irgendwann muß damit mal Schluß sein. Irgendwann muß doch jeder mal da angekommen sein, wo er schon immer hin wollte. Hier bin ich froh, hier darf ich's sein. Aber nein. Unzufrieden ist man: Wer weiß, vielleicht ist's in Kreuzberg ja doch besser als in Mitte, Zentralheizung ist mir doch wichtiger als Balkon, alleine will ich nicht mehr wohnen – oder was sonst für hintergründige Motivationen vorgeschoben werden, nur um wieder einen Umzug (diesmal ganz bestimmt den letzten) zu begründen und unsereins als Möbelträger zu gewinnen.
Es ist so ein Widerspruch, der da wohnt, mitten in den Mitmenschen. Liest man zum Beispiel die täglichen Umfragen dieser Zeitung, in denen sich ein jeder Befragte als der mit Abstand glücklichste darzustellen weiß, wundert man sich schon, daß trotzdem ständig umgezogen wird. Und wirklich ständig, ich meine, ich übertreibe ja nicht, es ist ein einziges Umziehen um mich her. Kaum hat man hier vierzig Bücherkisten in irgendeinen fünften Stock getragen, schon kräht es aus einem anderen Bezirk der Stadt, daß es dort unerträglich sei, zum Glück jedoch eine neue, ultimative Wohnmöglichkeit entdeckt worden ist, die zu beziehen man meine Hilfe gerne in Anspruch nähme, und so geht es jede Woche wieder von neuem. Einfach weil's woanders eben doch wahrscheinlich besser ist.
Es gibt da eine sehr schöne Passage bei Thomas Bernhard, die zwar nicht direkt vom Umziehen handelt, aber irgendwie auch wieder doch. Da heißt es: „Und die Wahrheit ist, daß ich nur im Auto sitzend zwischen dem einen Ort, den ich gerade verlassen habe, und dem anderen, auf den ich zufahre, glücklich bin, nur im Auto und auf der Fahrt bin ich glücklich, ich bin der unglücklichste Ankommende, den man sich vorstellen kann, gleich wo ich ankomme, komme ich an, bin ich unglücklich.“
So ist das nämlich mit den manisch umziehenden BerlinerInnen. Und haben noch ganz andere Obsessionen: Wissen Sie eigentlich, daß nach meiner Schätzung mittlerweile in 90 Prozent der Berliner Altbauwohnungen der Holzfußboden abgeschliffen ist? Mühsamst abgeschliffen und lackiert? Leider ist das kein Grund zum Frohlocken, denn kurz bevor die 100 Prozent erreicht sein werden, schlägt der Trend zum hellen Holz plötzlich um, und es wird total in sein, ochsenblutrot zu lackieren.
Anders ist einfach besser. Aber anders ist auch so verdammt schnell immer-wieder-gräßlich-gleich. Wir ziehen jedenfalls weiter um. Und schleifen Holzfußböden – auf daß sie bald gestrichen werden. Volker Weidermann
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