: Arbeitsamt läßt junge Behinderte sitzen
■ Trotz Rechtsanspruch Ausbildungsbeginn verschoben / Bildungsträger und Betroffene wollen klagen / Jetzt fehlen fünf Millionen Mark für ABM und Wiedereingliederung
Das Bremer Arbeitsamt läßt junge Behinderte monatelang auf der Straße sitzen und riskiert damit Klagen von Eltern und Ausbildungszentren. Obwohl Behinderte seit dem 1. April einen Rechtsanspruch auf berufliche Ausbildung haben, setzen die Bremer hier den Rotstift an. Der Beginn von Kursen wird ohne Absprache mit Trägern und Betroffenen auf unbestimmte Zeit verschoben.
Die üble Nachricht vom Bremer Arbeitsamt fand Erika Matthias bei ihrer Rückkehr aus dem Urlaub vor. Ihr lernbehinderter Pflegesohn Christoph (Name geändert) war aus der Förderung geflogen. Nach einem Jahr soll der 20jährige zunächst nicht mehr zu seinem Rehabilitationskurs ins Arbeiter Bildungs Centrum (ABC) zurückkehren dürfen. Dabei hatte das Arbeitsamt eine Förderung über zwei Jahre zugesagt. „Ich werde dagegen klagen, nach der Zusage habe ich einen Rechtsanspruch“, sagt Erika Matthias. Die Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg bestätigt die Sicht der Mutter.
Nach Angaben aus dem ABC haben neben Christoph 60 weitere Jugendliche keine feste Zusage, wann sie ihre berufsvorbereitenden Reha-Kurse beginnen können. Im Bremer Arbeitsamt wird aber versichtert, daß keine Kurse gestrichen seien. Wann die Jugendlichen beginnen, sei aber noch unklar.
Auch in der beruflichen Erstausbildung für Lernbehinderte hat das Arbeitsamt Zusagen gebrochen. So seien eine Woche vor Kursbeginn die Anmeldungen von 42 Auszubildenden beim Reichsbund Berufsbildungswerk zurückgezogen worden. „Eine Willkürmaßnahme“, schimpft Bildungswerk-Geschäftsführer Gerd Meyer-Rockstedt. Später habe man immerhin zehn angehende Zahntechniker und Büro-Azubis geschickt. Außer Hildesheim hätten aber alle anderen Arbeitsämter, die Behinderten eine Ausbildung im Bremer Berufsbildungswerk finanzieren, ihre Leute geschickt. Mehr als 100 Jugendliche hätten pünktlich begonnen. „Wir fordern einen Ausgleich für unsere Verluste und raten auch den Eltern, Rechtsmittel einzulegen“, sagt Meyer-Rockstedt.
Jeder Tag Ausfall koste die als GmbH organisierte Einrichtung nahe der Bremer Universität pro Person zwischen 101 Mark (für Externe) und 168 Mark (für Internatsbewohner).
Die Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg bestätigt, daß viele Arbeitsämter angesichts der Kosten für die Behinderten-Ausbildung erstmal die „Notbremse“gezogen hätten, sagt der zuständige Referent Dieter Schäfer. Um Ausfallforderungen zu vermeiden, sollten Kurse nur einvernehmlich mit den Trägern verschoben werden.
In Bremen würden bis zum Herbst alle Kandidaten ihre Ausbildung beginnen, versichert Wilfried Lüschen, Abteilungsleiter Berufsbildung im Bremer Arbeitsamt. Sobald Geld nachkomme, würden zunächst die Berufsausbildungen begonnen, weil hier Terminschwierigkeiten mit den Prüfungen drohten. Bei den berufsbegleitenden oder berufsvorbereitenden Maßnahmen gebe es größeren zeitlichen und inhaltlichen Spielraum.
So kann es noch einige Zeit dauern, bis Frau Matthias– Pflegesohn wieder im Arbeiter Bildungs Centrum lernen kann. Um den Rechtsanspruch der Behinderten auf Ausbildung zu erfüllen, müssen die Arbeitsämter Geld aus anderen Töpfen abziehen. Lüschen schätzt, das deswegen im Jahr 1997 in Bremen fünf Millionen Mark weniger für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und die berufliche Wiedereingliederung zur Verfügung stehen.
Joachim Fahrun
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