■ Vorschlag
: In Trance: „Ich bin müde vom Stehen, ich liege“ von Jean Rouch im fsk

Wackelig wartet die Kamera auf einem staubigen Stück Land, irgendwo im Niger. Ein Jeep fährt heran, drei Männer steigen aus. Sie beginnen zu erzählen von diesem Land, „in dem alles verdreht ist“. Oben ist unten, Doppelgänger sind allgegenwärtig, und Bäume, die der Blitz getroffen hat, leben doch weiter. Die drei Freunde legen sich schlafen neben einem dieser Bäume, denn was man träumt im Schatten eines solchen Baumes, das wird zur Wirklichkeit, so sagen sie. Ein jeder bekommt seinen Traum, dann müssen die drei losziehen, um die Wahrheit hinter den Traumbildern zu ergründen. Dazu werden Schafe und schwarze und weiße Hühner geschlachtet, Wahrsager malen Kreise in den Sand, Frauen tanzen sich in Trance.

In „Ich bin müde vom Stehen, ich liege“ erweitert Jean Rouch das Grundprinzip des von ihm mitbegründeten cinéma vérité. Rouch akzeptierte als erster, daß der ethnographische Film nicht Wirklichkeit abbilden kann, daß die Kamera die abgefilmten Handlungen beeinflußt, und benutzte sie deswegen bewußt als Katalysator und rückte sie für den Zuschauer spürbar in den Ablauf der dokumentierten Geschehnisse. Hier nun wird nicht nur der Vorgang des Filmens zum Auslöser der Rituale, sondern zuerst einmal die drei Männer, gespielt von Rouchs ständigen Mitarbeitern Damouré, Lam und Tallou, auf ihrer Wahrheitssuche. So werden sie zwar nicht unbedingt schlauer, aber zu unseren ethnologischen Reiseführern.

Allerdings sind wir hier nicht im nachmittäglichen Bildungsfernsehen. Die Dinge, die passieren, werden nicht verständlich gemacht für unsere mitteleuropäischen Hirne. So wird Milch in den Niger gekippt, und Schüsseln treiben den Fluß hinab. Die Erklärungen, die die drei Führer dazu abgeben, erschöpfen sich in Parabeln und alten Geschichten voller unbekannter Namen und Götter. Letztlich dreht sich alles nur darum, was man in unseren Breiten mit einem Haufen Dünger regeln würde: Hirse und Reis mögen wachsen.

Doch jenseits aller Unverständnis zieht uns Rouch mit der Kamera mitten ins Geschehen. Wenn man sich der gemächlichen Erzählweise hingibt, wenn man sich einläßt auf den Schwall der Bilder und Worte, wenn man nicht mehr nach Wissen sucht, sondern wie die drei Suchenden akzeptiert, daß es viele Wahrheiten gibt und vieles unverständlich bleibt, wenn man der schwankenden Handkamera folgt, kann man sich zwischen die wiegenden Körper und schlagenden Trommeln in eine fremde Kultur ziehen lassen. Thomas Winkler

Heute, 19 Uhr, fsk am Oranienplatz, Kreuzberg