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Zärtlichkeit beim Haarekämmen

■ Mehr Witwenverbrennung als wunderbarer Waschsalon. In ihrem dritten Film „Fire“ zeigt Deepa Mehta eine lesbische Liebe als Mittel zur Traditionsflucht

Ein grellgelbes Rapsfeld irgendwo in Indien als Leitmotiv. Mitten im Gelb ein kleines Mädchen mit seinen Eltern, das davon träumt, einmal das Meer zu sehen. Weil das unerreichbarist – versucht ihr die Mutter beizubringen –, muß man die Augen zumachen. Irgendwann klappt's dann, und man sieht das Wunschbild. Als scheinbar ins Zeitlose entrückte Szenerie wird so die zentrale Fabel erzählt. Der im Neu-Delhi der Gegenwart spielende Film behält dabei den Märchenduktus der Schlüsselszene über weite Strecken bei.

Radha und Sita sind zwei Ehefrauen auf dem Abstellgleis der Tradition, die in einer Karikatur von Großfamilie leben. Sita (Nandita Das) ist gerade nach Landessitte mit ihrem vorbestimmten Ehemann Jatin (Jaaved Jaaferi) verheiratet worden und zieht zur Familie des Schwagers. Hier lebt die bereits etwas ältere, aparte Radha (Shabana Azimi) mit ihrem stets abwesenden Gatten Ashok (Kulbushan Kharbanda).

Eine Generation weiter wäre da noch die ehrwürdige Greisin Beiji, die, weil taubstumm, mit einem Glöckchen auf sich aufmerksam macht. Weil niemand so recht darauf achtet, guckt sie mit dem Hausdomestiken unfreiwillig die neuesten Pornos statt religiöser Videos an, wie alle glauben.

Neben der ungestümen Sita ist nur Jatin überzeugend als Traditionsflüchtiger dargestellt. Passenderweise von einem beliebten DJ des indischen MTV gespielt, markiert er als einziger schrill die Gegenwart. Der Bruce-Lee-Fan hat folgerichtig eine Geliebte aus Hongkong und verbringt kaum eine Nacht zu Hause.

Der in sich gekehrte Ashok dagegen zwingt seine Frau nach 16 Jahren kinderloser Ehe beinahe allnächtlich, sich neben ihn ins Bett zu legen, damit der selbstgewählte Zölibatär seine Standhaftigkeit an ihr testen kann. Ständig pilgert der überzeugte Triebverzichter zu seinem Guru und hält sich obendrein für einen Wohltäter. Schließlich füttert er auch mal die Oma und verstößt seine anscheinend unfruchtbare Frau auch nicht, wie es der Brauch ermöglicht.

Viele Anspielungen in „Fire“ beziehen sich auf die Sage der Sita, die sich durch eine Feuerprobe rehabilitieren muß. Etwas holzschnittartig wird dieser weibliche Reinheitsbeweis mit der inferioren gesellschaftlichen Stellung indischer Frauen verglichen. Verweise wie die anachronistische Entjungferungsszene im ersten Drittel des Films erklären da mehr.

Das Interessanteste allerdings spielt sich abends hinter dem Rolladen ab, auf dem pikanterweise „crush“ steht. Nun ist es aber nicht so, daß die vernachlässigten Ehefrauen – quasi notgeil – übereinander herfallen. Nuanciert werden die Schritte von Freundschaft und Sympathie bis zu angedeuteter Intimität befolgt. Ein abendliches Gespräch auf der Terrasse, Zärtlichkeiten beim Haarekämmen und schließlich ein diskreter Kuß.

Gleichgeschlechtliche Liebe gilt in Indien trotz des reichen erotischen Überlieferungsschatzes als Tabu, bis vor wenigen Jahren gar als strafwürdig. Im Amerika der Fünfziger noch als love that does not dare to tell its name apostrophiert, fehlt hier in den zahlreichen Landessprachen Indiens sogar eine entsprechende Bezeichnung. Zu den wenigen Ausnahmen, die Lesben in Südasien zum Thema eines Films machte, zählte 1991 die indische Filmemacherin Pratibha Parmar aus Großbritannien mit ihrem Dokumentarfilm „Kush“.

Selbst 1950 in Indien geboren, wanderte Deepa Mehta als 23jährige nach Kanada aus und arbeitete seitdem vorwiegend für Fernsehproduktionen. Kameramann Giles Nuttgens, mit dem Mehta bereits zwei Episoden der „Indiana Jones Chronicles“ (George Lucas) fürs amerikanische Fernsehen drehte, setzt ihren dritten Spielfilm mit dramatischen Weißblenden, abwechselnd mit sanften Schwenks, in Szene. Lange Strecken kommen fast ohne Ton aus. Nur Atemgeräusche, Knistern, leise Stimmen sind zu hören. Dann setzt plötzlich in eine Dialogpause hinein mit jähem Crescendo die Filmmusik (A.R. Rahman) ein.

Mehta selbst sieht die Liebesgeschichte der beiden Frauen als „Vehikel“ zur noblen Hinterfragung traditionellen Glaubens. „Für eine Nation, die sich selbst zu einem Anwalt der Toleranz ernannt hat, sind wir unglaublich bigott.“

Der Film entspreche ihrer Absicht, Indien zu entmystifizieren und ein modernes Indien zu zeigen. Dabei beschränkt sie sich allerdings, selbst Tochter eines liberalen Elternhauses, auf die Perspektive der wachsenden, über 350 Millionen zählenden Mittelschicht. 50 Jahre nach der Erlangung der Unabhängigkeit Indiens und Gandhis Lehren, wo eine Phoolan Devi zur Kinoheldin wurde, erinnert das Feuer im Titel immer noch mehr an die sogenannten Witwenverbrennungen als an die lodernden Flammen lesbischer Leidenschaft. Da kann aus Radhas Garküche eben noch keine beautiful laundrette werden. Gudrun Holz

„Fire“. Buch und Regie: Deepa Mehta. Kamera: Giles Nuttgens. Mit Shabana Azmi, Nandita Das, Kulbushan Kharbanda, Jaaved Jaaferi, Ranjit Chowdhry u.a. Kanada 1997, 104 Minuten

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