: Enkel des deutschen Herbsts
Mao, Meinhof, Mumia Abu-Jamal: Die HipHopper Freundeskreis aus Stuttgart versuchen politisches Engagement und Neunziger-Schlurfigkeit zusammenzubringen. Ein avancierter Versuch gegen das Spätzle-Ressentiment ■ Von Oliver Fuchs
HipHop aus Stuttgart. Klingt das nicht schief? Ist das nicht ein Widerspruch in sich? Aus verständlichen Gründen hat bislang niemand dieser Stadt viel zugetraut, wo die U-Bahnschächte einen frisch gestaubsaugten Eindruck machen. Wo die Clubs nicht E-Werk oder P 1, sondern z.B. Altes Schützenhaus heißen. Jaja, die Liste der Spätzle-Ressentiments ist lang, so lang, daß die Fantastischen Vier irgendwann anfingen, aus purem Trotz fette Daimler zu fahren.
Mit einem ganz anderen Selbstverständnis greift jetzt der Freundeskreis, Speerspitze der zweiten Stuttgarter Generation, nach dem Mikro. Übergabe des Staffelholzes. Auf dem Fantastische-Vier- Label Four Music ist ihr erstes Album „Quadratur des Kreises“ erschienen, das – man hat es nicht ausschließlich mit Schwaben zu tun! – in keiner Beziehung geizt. Nachdrücklich federn die Beats durch Sound-Hallen von beträchtlicher Tiefe. Selten so weit in solche Räume hineingehört. Gleichzeitig gibt es kein Ragga-/Funk-/ Soul-R&B-Detail, kein noch so kurzes Sample, das nicht voll Entdeckerstolz nach vorne gemischt wird.
Die Beziehung zur Welt draußen stellen Reime wie dieser her: „Nach Einbruch der Dunkelheit auf meinem Leintuch / Schreib ich wie Mao Tse-tung in mein rotes Reimbuch.“ Mao, Mandela, Makeba – wie Kartoffelchips purzeln diese Namen aus dem Mund von Max (Stuttgart) und seinem Co- Rapper Ahmed Sékou (Boston). Das Bandinfo verweist etwas großtuerisch auf die Apo-Vergangenheit der einen Familie und den Black-Panther-Hintergrund der anderen. In Wirklichkeit ist das mit dem „alternativen Geburtsadel“ (Spex) nur halb so wild. „Meine Mutter arbeitet in einer linken Buchhandlung“, erzählt Max.
Der Freundeskreis sitzt backstage beim Festival der Stimmen in Lörrach beisammen. Backstage heißt hier: Gasthof zum Wilden Mann, zweiter Stock, Lagerräume. Vom Fenster aus kann man bei guter Fernsicht Basel sehen, in jedem Fall ein paar Tupfer von der Schweiz. Obwohl über Hits längst in den Rotationsbüros der Musiksender entschieden wird und die vier HipHopper – auf der Bühne sind sie acht Freunde – mit einem 20. Platz in den LP- und Rang 13 in den Single-Charts ziemlich gut dastehen, spielen sie derzeit fast täglich auf einer anderen deutschen Wiese.
Das Festival anderntags im Badischen war so schlecht organisiert, daß am Ende die Zeit nicht mehr für ihren Auftritt reichte. Der Tourbus blieb im Schlamm stecken und in der zwei Kilometer entfernten Catering-Zone erwiesen sich die Essenmarken als ungültig.
Eine weitere Delikatesse waren jene „zugedröhnten MTV-Clowns, die uns filmen wollten, wie wir fröhlich rappend durch den Matsch stapfen“. Hat man höflich abgelehnt.
Freundlichkeit ist überhaupt das Stichwort. Freundeskreis machen HipHop so wie andere Leute Urlaub daheim. Besonnen, klar im Kopf, voll Freude an den kleinen Dingen. Wenn Zöpfchenträger Max etwa bei strömendem Regen, unterm „Vordach des Fachgeschäfts“, eine Frau namens Anna trifft, dann erinnert ihn die erstens an den Dada-Poeten Kurt Schwitters und zweitens daran, daß er ja mal ein HipHop-Liebesgedicht schreiben könnte, das dann, im Soul sich suhlend, auch als Stehblues funktioniert. Blicke, Worte, ein Kuß. Dann kommt der Bus, und Anna muß. Max bleibt zurück, wird melancholisch und liest daheim noch einmal nach: „Anna, wie war das da bei Dada? / Du bist von hinten wie von vorne, A, N,
N, A.“
Daß es bei soviel Gefühlspolitik immer wieder gelingt, harte politische Themen aus der Sofaritze hervorzuzaubern, grenzt fast an ein Wunder. Das Stück „Cross the tracks“ sampelt Ulrike Meinhof und Mumia Abu-Jamal in den gleichen Kontext, indem nacheinander beider Berichte aus dem Gefängnis in Auszügen verlesen werden. Das Tagebuch-intime Pamphlet soll als „Protestlied gegen unmenschliche Haftbedingungen“ verstanden werden. Dennoch mündet es in den lässig groovenden Refrain: „Long-haired hippies and Afro-Blacks / all get together and make deep tracks.“ Bei diesem Track jedenfalls entsteht kein Durcheinander, sondern das friedliche Nebeneinander von Sprechweisen, die sich gegenseitig auszuschließen scheinen: „Deepness und Banalitäten dicht an dicht.“ Max muß es wissen. Nach Assoziationen zu Stuttgart-Stammheim gefragt, meint er: „Bißchen weit ab vom Schuß. Aber: tolles Jugendhaus!“
Bereits im Album-Titel „Quadratur des Kreises“ beschreibt die Band ihren Versuch, politisches Engagement mit einer typischen 90er-Jahre-Schlurfigkeit zusammenzubringen; Politikpartikel in den Alltag einzustreuen, ohne gleich wieder rigoros das Ganze umkrempeln zu wollen. Dieser Freundeskreis ist weit davon entfernt, Refugee Camp zu sein oder Family im Sinne von Puff Daddy. Der Unterschied zwischen den Fugees und Freundeskreis besteht darin, daß erstere Bob Marley covern und zweitere als ihre ärmeren deutschen Verwandten Udo Lindenberg.
Aber die Technik ist eine ähnliche: HipHop weitestmöglich ans Pop-Format anzunähern, ohne in ihm aufzugehen. Erst mal zu allen sprechen, damit einige zuhören und manche verstehen. Sie dissen und belehren niemanden, sie wollen nicht recht haben. Schrecklich gern wären sie Kinder irgendeines Frühlings, aber im Kern sind sie Kinder des Deutschen Herbstes und aller Folgeprobleme: Die Grünen im Bundestag, Kirchentage, Lichterketten.
„Unsere nächste Platte wird straighten HipHop bringen“, verspricht Max, „die erste war nur ein Köder.“ Manchem ist diese erste Platte freilich zu aufgesetzt. Die Spex-Kritik wiederholte auf 40 Zeilen immer nur diesen einen Satz: „Ich kann die Typen nicht ausstehen!“ Und im sonst fürs Kommerzielle durchaus aufgeschlossenen WOM-Journal erboste sich ein Leser über Freundeskreis als schwäbische Ärztekinder, die „lieber ihr Jurastudium beenden sollten, als im Studio ihrer Eltern“ rumzuturnen. Der WOM- Wüterich schloß, sehr zum Vergnügen der vier Freunde: „So was hat im Rock'n'Roll nichts zu suchen!“
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