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Auch der Trinker genießt den Schutz des Grundgesetzes

■ Ein Wiesbadener Verfassungsrechtler warnt vor einem gesetzlichen Trinkverbot: Das öffentliche Besäufnis in den Wallanlagen zu verbieten, beim Stadtfest aber durchgehen zu lassen, verstößt gegen das Grundgesetz

Die Bremer CDU will öffentlichen Alkoholgenuß verbieten. Wer sich den Sinnesfreuden oder der Trunksucht dennoch, unter den Rathausarkaden oder in den Wallanlagen beispielsweise, hingibt, soll mit einem Bußgeld von rund 100 Mark bedroht werden. Noch ringen die Christdemokraten allerdings um die Zustimmung des Koalitionspartners SPD, wo man den Law-and-order-Vorstoß noch „überdenken“will (taz vom 26.8.). Wenn sich die Bremer Regierungsparteien einigen, könnte der neue Passus gleich zu Beginn der neuen Legislaturperiode ins Bremer Ortsgesetz aufgenommen werden. Die taz fragte den Wiesbadener Verfassungsrechtler Wolfgang Hecker nach den Tücken, die die Ausweitung der Polizeibefugnisse mit sich bringen.

taz: Die Bremer CDU will öffentliche Trinkgelage außerhalb von markierten Schankgebieten verbieten. Ist das der Trend?

Prof. Wolfgang Hecker, von der Verwaltungsfachhochschule Wiesbaden (Abtlg. Frankfurt): Durchaus. Es gibt seit vielen Jahren eine Entwicklung in diese Richtung und gerade in der letzten Zeit verschärft sich diese Diskussion – was sicher auch mit dem rechtspolitischen Streit insbesondere zwischen SPD und CDU um die Frage der schärfsten Innenpolitik zu tun hat.

Sie haben entsprechende Regelungen der Bundesländer verglichen. Wo steht Bremen dabei?

Im konkreten Fall des Alkoholverbots im öffentlichen Raum liegt Bremen zeitlich mitten in dieser bundesweiten Entwicklung.

Der Trend hat GegnerInnen?

Ja, es gibt eine Kontroverse darüber, ob der Konsum von Alkohol, verwaltungsrechtlich gesprochen, tatsächlich die Gefahrenschwelle überschreitet, das heißt ob ein Eingreifen der Ordnungskräfte überhaupt zulässig ist. Das ist die Hauptkontroverse, zumal es bereits hinreichend Möglichkeiten gibt, einzuschreiten, wenn es zu Zusatzhandlungen kommt, wie sie beim Alkoholkonsum teils auftreten.

Dann haben KritikerInnen recht, die dieses neu geplante Gesetz ablehnen, indem sie sagen: Wenn Säufer vom Bremer Osterdeich herunter beispielsweise PassantInnen anpöbeln, ist das Beleidigung; schreien sie nachts, ist es Ruhestörung; greifen sie jemanden an, ist es versuchte Körperverletzung. Das geplante Gesetz ist also gar nicht nötig?

Aus verwaltungsrechtlicher Sicht sicher nicht. Tatsächlich exitiert eine umfassende Gesetzesgrundlage, wonach gegen alle Verstöße vorgegangen werden kann, die aus dem Alkoholkonsum zusätzlich hervorgehen. Der Alkoholgenuß an sich ist keine Überschreitung der Gefahrenschwelle. Dagegen vorzugehen, ist nur durch die Absicht begründet, präventive Vorkehrungen treffen zu können und zugleich die Möglichkeit zu haben, Platzverweise zu erteilen.

Der Gesetzestext sieht vor, daß „dauerhaftes Verweilen zum Zwecke des Alkoholkonsums “als Ordnungswidrigkeit geahndet werden kann. Ist das nicht ein bißchen wischi-waschi? Was ist beispielsweise dauerhaft ?

Entscheidend aus verwaltungsrechtlicher Sicht ist weniger das dauerhaft. Das Hauptproblem liegt darin, daß der Aufenthalt zum Zwecke des Alkoholkonsums den Verbots-Tatbestand begründet. Es läßt sich nicht unbedingt feststellen, ob der Aufenthalt tatsächlich nur zum Zweck des Alkoholkonsums stattfindet. Es gibt ja noch viele andere Zwecke...

...wie den des Sonnenbadens...

...oder überhaupt: Der Aufenthalt findet einfach statt – und die Frage ist, wie festgestellt werden soll, daß er allein zum Zweck des Alkoholkonsums stattfindet? In Darmstadt, wo es eine ähnliche Verordnung zu Gefahrenabwehr seit längerem gab, hat die Mehrheit aus SPD und Grünen diese Verordnung politisch schon wieder gekippt. Wie in Bremen offenbar beabsichtigt, ging man vor allem gegen Personen mit einer Flasche in der Hand vor.

In Bremen soll die Flasche in der Hand aber nicht für alle verboten werden. Öffentliches Trinken soll so lange erlaubt bleiben, wie jemand ordentlich daran verdient. Solange Freimarkt- und Stadtfest-Betreiber Konzessionen haben, muß die Polizei zusehen.

Das ist bundesweit so, daß diese Regelungen ausdrücklich auf einen bestimmten Personenkreis abzielen. Rechtlich ist das ein Problem, weil hier ein Verstoß gegen Artikel 3 des Grundgesetzes, also des Gleichheitsgrundsatzes, vorliegt. Wenn man nämlich davon ausgeht, daß der Alkoholkonsum tatsächlich Probleme mit sich bringt, ist darauf hinzuweisen, daß wesentlich größere Gefahren ja gerade von angetrunkenen Personen ausgehen, die nach einem Gaststättenbesuch mit dem Auto nach Hause fahren. Der Personenkreis, auf den die Gefahrenabwehrverordnung in erster Linie abzielt, sind häufig ja Personen, die gar keinen PKW besitzen. Es geht also um die ja vorkommenden Belästigungen von Personen.

Ein Gesetz also gegen Leute, die möglicherweise weder das Geld noch den Wunsch haben, im Kneipenmilieu zu zechen?

Das ist mit Sicherheit so. Sonst gäbe es nicht die Sonderregelung, die nur außerhalb gesonderter Freischankflächen den Zugriff gestattet. Es wird doch insgesamt auf eine eindeutige Gruppe abgezielt.

Auf eine Gruppe, die sich selten mit dem Anwalt gegen ungerechtfertigte Übergriffe wehrt?

Ja, diese Leute nehmen vieles hin, was ordnungsbehördliches oder polizeiliches Vorgehen anbelangt. Sie wehren sich nicht, sonst wäre nicht erklärlich, daß es nur im Einzelfall ein Vorgehen gegen diese Ordnungswidrigkeitsverfahren gab. Aber insbesondere die Idee, wie sie in anderen Rechtsbereichen vorkommt, daß man sagt, wir gehen gegen die Regelung selbst an, kommt praktisch nicht vor.

Worum würde es bei einer rechtlichen Überprüfung gehen?

Entweder um GG-Artikel 3 oder um GG-Artikel 2 Absatz 1, den Artikel der allgemeinen Handlungsfreiheit. Die beinhaltet für jedermann, Alkohol trinken zu können. Dieses Trinken von Alkohol ist geschützt durch die allgemeine Handlungsfreiheit. Man kann natürlich darüber diskutieren, ob man Alkoholverbote für sinnvoll erachtet. Dafür bräuchte man dann aber eine überzeugende Begründung, die erstens den Gleichheitsgrundsatz beachtet und zweitens wirklich nachweisen könnte, daß allein vom Alkoholkonsum entsprechende Gefahren ausgehen. Das ist nicht die bundesdeutsche Sicht, anders als in den USA. Soweit es um Platzverweise geht, ist im übrigen auch das Grundrecht der Freizügigkeit gemäß Artikel 11 GG. zu beachten.

Fürsprecher des Alkohol-Gesetzes führen an, daß viele Übergriffe gegen Einzelne, wie Pöbelei, sonst erst geahndet werden, wenn jemand klagt. Wie sehen Sie das?

Das ist die Frage, inwieweit bestimmte Verstöße im öffentlichen Raum tatsächlich vorkommen und Handeln erfordern. Es gibt heute, glaube ich, keine Diskussion mehr darüber, daß es angesichts der sozialen Probleme in der BRD hier tatsächlich zu einzelnen Problemlagen kommt. Die Frage ist, wie man dagegen vorgehen kann. Es ist ja jetzt schon Konsens, daß eine erhöhte Präsenz von Ordnungskräften im öffentlichen Raum stattfinden muß und auch stattfindet. Aber wohlgemerkt – nur eine Präsenz. Natürlich ist im Einzelfall auch polizeiliches Einschreiten geboten. Die neuen Regelungen haben aber zum Inhalt, bestimmte Personen schon weit im Vorgriff aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen und jetzt schon Platzverweise zu erteilen. Den Zusammenhang zwischen dem Verbot und einem Platzverweis muß man sehen.

Wie wirken sich solche Gesetze auf die Arbeit der Polizei aus?

Das kommt darauf an, wie der Einsatz vor Ort vorgesehen ist. Aus polizeilicher Sicht werden durchaus nicht alle diese Regelungen für sinnvoll erachtet. Auch in der Polizei gibt es Stimmen, die meinen, daß einschlägige Verstöße schon lange erfaßt werden können und daß ein so weit ausgreifendes präventives Vorgehen gar nicht sinnvoll sei. Fragen: Eva Rhode

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